31. Mai 2016

Centovalli: Locarno und so

Am letzten Wochenende hatte die katholische Schweiz schon wieder Feiertag und wir nutzen die Gunst der Stunde für eine Reise in den Süden. Die Wetterprognose ist zwar nicht so verlockend, aber im Moment ist es schön und wir fahren über den Gotthardpass. Manche Schneemauern sind noch haushoch, doch auf der Südseite des Passes ist es schon aper.

Am Bahnhof Cadenazzo stellen wir unseren Möbelwagen ab und fahren mit der Regionalbahn TILO nach Locarno. Die Sonne scheint und auf der Piazza Grande ist heute Markt. Allerlei Gefilztes, Gestricktes und Getöpfertes, daneben auch Bergkäse, Würste und Rauchfleisch. Wir kaufen Sandwiches und setzen uns damit unter eine mächtige Platane am Seeufer. Die Palmen rascheln im Wind und die Bananen haben bereits fingerlange Früchte. Die Wellen plätschern ans Ufer und die Tauben schauen uns gierig zu.

Die alte Standseilbahn ächzt wehleidig, als sie mit uns nach Madonna del Sasso hinauf fährt. Madonna del Sasso ist ein prächtiges Kloster auf einer Felsnase hoch über Locarno. Zum Glück steht es gleich bei der Bahnstation, denn das Gelände ist unglaublich schroff und jeder Fussweg ist eine Treppe.

Von aussen wirkt die Anlage sehr malerisch und die Aussicht ist grandios. Innen ist die Kirche seeehr üppig ausgeschmückt und überaus bunt bemalt. Kitschig könnte man auch sagen.
An den Wänden hängen hunderte Ex-voto Tafeln; Votivtafeln zum Dank und im Gedenken an ein überstandenes Unheil. Geburten, Stürze, Brände, Lawinen und zahlreiche Autounfälle – und jedesmal ging es dank der Madonna del Sasso gut aus. Manche der Tafeln kommen aus Ungarn, Spanien, Albanien oder aus allen möglichen Kantonen.

Dann kommen Wolken und wir bahnfahren nach Cadenazzo zurück. Unser Möbelwagen steht unberührt hinter dem Bahnhof. Wir rollen damit genüsslich gegen Süden und nächtigen in Verscio, einem steinigen Dorf am Eingang zum Centovalli. Centovalli – die „Hundert-Täler“.
Wir finden einen netten Übernachtungsplatz direkt an einem wasserlosen Wildbach. Aus dem Dorf treibt der Wind Musik zu uns hinüber; zuerst AC/DC und Iron Maiden, später Youssou N’Dour, Khaled und Bob Marley. Dann Janis Joplin und Joe Cocker – ich fühle mich wie in den 1990-er Jahren.
Die Spatzen zwitschern und es riecht nach Regenwetter. Isch schön hier.

30. Mai 2016

die Rhabarber; ein dummes Gemüse

Ausser den Stängeln ist bei der Rhabarber so ziemlich alles giftig oder ungeniessbar. Und die Stängel schmecken bitter und nach ‒ öööhm ‒ Rhabarber. Immerhin galt sie bei den Chinesen als gesund und sie verwenden sie seit 4‘000 Jahren gegen die Scheisserei.
Aber weshalb sollte ich so etwas essen wollen? Weshalb ‒ weil Frau G. neulich daraus einen zauberhaften Kuchen buk. Oder müsste es „backte“ heissen? Oder eher „buckte“?

Hier nur kurz das Rezept: Der Boden ist ein blindgebackener Mürbeteig. Darauf kommen eine Feuchtigkeitsschutzschicht aus geschmolzener Schokolade und ein Belag.
Für den Belag müssen zuerst die Rhabarberstücke in Grenadine-Sirup weichgekocht werden; Frau G. hatte keinen und kochte sie deshalb in etwas Zuckerwasser. Dann verrührte sie Rahm, weisse Schokolade und Magerquark zu einer geschmeidigen Masse. Diese kommt auf den Mürbeteigboden und die erkaltete Rhabarber-Schlotze und die restliche Feuchtigkeitssperr-Schokolade-Splitter darüber. Den Kuchen nun kaltstellen bis er sich verfestigt.

Der Frau G. ihr Rhabarberkuchen schmeckt wunderbar und nach mehr.

28. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: heute am Rhein Rhone Kanal

Die Vögel zwitschern in der Morgensonne. Sonst ist es hier am „canal Rhône au Rhin“, der Konkurrenz des Rhein-Marne-Kanals, ganz ruhig, bloss das Schleusenwasser plätschert leise. Dann muss ich aufstehen und es auch plätschern lassen.
Gestern Abend fuhr kein einziges Schiff hier vorbei. Doch nun kommt das erste schon beim Frühstück. Ein schönes Wohnboot namens „San Francisco“ fährt mitten durch unser Esszimmer.

Gegen Mittag packen wir zusammen und rollen über Altkirch und Basel genüsslich nachhause. Über den Alpen am Horizont stossen kuglige Wolken auf und künden vom Wetterwechsel.

Als ich den Möbelwagen zu seiner garage bringe, steht da mein kleines Auto mit offenen Fenstern auf dem Vorplatz! Anscheinend habe ich vor zehn Tagen vergessen, es wegzustellen!

27. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: der heilige Finger

Wir übernachteten gestern Abend noch einmal mitten in Nancy am Bassin Sainte-Catherine. In der Ferne hörten wir die Fussballer jubeln. Später feuerte jemand Böllerschüsse in die Luft, dann fuhren alle von unserem Parkplatz weg. Und morgens um sechs ging die Sonne auf und einige Jugendliche diskutierten nebenan lautstark die Tagesaktualitäten. Insgesamt war es eine eher unruhig Nacht.

Kurz nach Nancy sehen wir schon von weitem die beiden Türme der Kirche von Saint-Nicolas-de-Port. Die will ich mir unbedingt gschwind anschauen, denn da bewahrt man einen Finger vom Sankt Nikolaus auf.
Die Kirche ist ja nicht zu verfehlen, aber wo im Grossen Innenraum finden wir den heiligen Finger. Ich frage den Sigrist. Ganz einfach; ich muss einen Euro einwerfen und dann öffnet sich surrend das Fenster zur Schatzkammer, das Licht geht an – und da ist er. Goldgefasst und grell beleuchtet, der Nikolaus-Finger. Wir sind – öööhm – erstaunt.

Aber wie ist dem Nikolaus ein Finger abhanden gekommen? Hat er ihn wie eine angerauchte Zigarette einfach irgendwo liegen lassen? Oder hat er ihn aus Versehen mit der Baumschere abgezwackt, oder hat ihn damals der Totengräber ein Souvenir mitlaufen lassen? Man weiss es nicht.

Nach diesem kulturellen Höhepunkt fahren wir weiter heimwärts. Die Landschaft ist hügelig. Rapsfelder und kleine Dörfer, wo die Häuser zu verkaufen sind. Halt typisch Lothringen!
Je länger je mehr graue Wolken ziehen auf. Wir nähern uns den Vogesen. Die Hügel werden zu Bergen und sind nun mit Tannen bewachsen. Die Strasse steigt stetig an. Dann kommen wir auf den Col de la Schlucht, die Passhöhe ist auch gleichzeitig die Grenze zum Elsass. Doch wir bleiben in Lothringen und fahren auf der Route des Crêtes weiter südwärts.

Diese Strasse führt – wie es der Name schon sagt – immer der Krete entlang. Ursprünglich war sie eine Militärstrasse und versorgte im 1. Weltkrieg die französischen Soldaten. Auf der andern Seite der Krete war das Elsass, und das gehörte damals zu Deutschland. Also zum Feindesland. Zahlreiche Denkmäler und Soldatenfriedhöfe erinnern an diese unrühmliche Zeit.

Hier auf etwa 1‘400 Meter Höhe liegen noch Schneeresten. Doch überall spriessen schon die Frühlingsblumen – und die Ausflügler.
Ein Töff-Fahrer transportiert seinen Hund im Tankrucksack und der Hund trägt eine extra Hunde-Brille. Zum Glück hat er bloss einen kleinen Hund dabei, mit einem Rottweiler stellte ich mir das schwierig vor?

Irgendwann enden dann die Vogesen und wir müssen wohl oder übel wieder ins Tal hinunter. Wir übernachten an der berühmten Schleusentreppe von Valdieu. Ganz einsam und malerisch. Ausser uns sind nur noch zwei Fischer und ein Fischreiher hier.

26. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: Nancy ist ein hübsches Mädchen

Die Morgensonne wirft einen Lichtstreifen in unseren Möbelwagen. Die Schiffe im Hafen schlafen noch, aber der Autoverkehr brummt schon angeregt. Ich drehe mich noch einmal, aber dann locken mich die warme Dusche und ein heisses Kaffee raus.
Im „marche central“ ist schon reger Betrieb. Die Markthallen platzen schier vor Waren; Früchte, Gemüse, Fleisch, Käse, Fische und alles, was man sonst noch essen kann wird feilgehalten. Wir schlendern herum und bewundern all die Leckerkeiten. Zehn Sorten Tomaten...

An der Place Charles III, gleich hinter den Markthallen, setzen wir und in ein Café und schauen den Leuten zu. Lauter schöne Menschen mit schönen Kleidern. Die Franzosen scheinen zu wissen, wie man schön lebt? Und mein café aux lait ist auch ganz gut.
Hier in Nancy gibt es Gebäude aus vier Epochen: aus dem Mittelalter, dem Klassizismus des 19. Jahrhunderts, dem Jugendstil und der Moderne der 1960-er Jahre. Manchmal stehen sie auch gleich nebeneinander – und stören sich mehr oder weniger.

Von den Markthallen schlendern wir quer über den Stanislas-Platz bis in den mittelalterlichen Stadtteil. Hier zwischen dem Herzogspalast und dem alten Zitadellen-Stadttor bilden die Häuser enge Gassen. Kleinen Läden und zahlreiche Restaurants, Brasseries und Cafés lassen mich erneut einspeicheln. Doch zuerst wollen wir uns noch ein wenig umsehen.

Diese gotischen Fratzen und Spottfiguren an der Kirchenfassade sollten einst böse Geister, Unwetter und Andersgläubige abhalten. Heutzutage locken sie eher die Touristen an.
Der „Parc de la Pépinière“ war einst ausschliesslich der Obrigkeit vorbehalten. Nachdem diese in der Revolution ihre Köpfe verloren, steht er auch der einfachen Bevölkerung offen. Und an so einem wunderschönen Tag wie heute, nutzt sie ihn auch gerne. Überall sonnen sich Pärchen, spielen Kinder oder picknicken Familien. Sportler sportlen, Springbrunnen springen und die Pfauen gockeln stolz umher. Wir setzen uns in ein Gartenlokal und futtern einen schönen Salat.


Gegen Abend machen wir eine Stadtrundfahrt mit der Einschienen-Strassenbahn T1. Zuerst nach Osten an die Meurthe und dann auf den Hügel im Westen. Insgesamt sind wir fast 25 Kilometer unterwegs und sehen Nancy aus einer ganz anderen Perspektive.

Der Bahnhofplatz wurde erst vor kurzem umgebaut. Nun gibt es am Boden unzählige bunte Leuchten. Beim genaueren Hinschauen sehen wir dann, dass es eigentlich die Dachfenster der darunterliegenden Tiefgarege sind.

Den restlichen Abend verbringen wir am Place Stanislas. Heute sind unglaublich viele Leute da und die Fassaden leuchten goldig vor dem Nachthimmel. Wunderschön. Aber meine "Bière brune" hat 9% Alkohol und legt in kurzer Zeit mein Gehirn lahm. Gut, dass unser Bett ganz in der Nähe steht.

25. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: von Nancy auf die Moselle

Die Fahrt von Kintzheim nach Nancy dauert knapp zwei Stunden. Das Wetter ist wunderschön und die Landschaft überaus lieblich; wie auf den Kalenderbildern. Um halb zehn sind wir im Hafen, die Mannschaft der „la vie“ ist schon auf und abfahrtbereit.
Gleich hinter dem Hafen muss extra für uns eine Brücke hochgeklappt werden, damit wir mit dem Wohnboot passieren können. Die Autos stauen sich zu einer langen Kolonne und die Fahrer schauen uns neidvoll hinterher.

Lautlos gleiten wir mitten durch die Stadt. Einige alte Getreidesilos am Kanal sind jetzt Wohnhäuser, doch viele der alten Industriehallen sind verwahrlost und ungenutzt.
Dann erreichen wir das Ende des Rhein-Marne-Kanals. Eine Schleuse fährt uns gut sieben Meter hinunter in ein Hafenbecken. Nun fahren wir zusammen mit der Grossschifffahrt; statt 38 Meter langen Pénichen sind es nun 185 Meter lange Frachtschiffe.

Etwas später kommen wir an die die Mosel, die hier in Lothringen „Moselle“ heisst. Links geht es nach Paris. Wir fahren rechtsnach Koblenz am Rhein. Bis dahin sind es aber noch 340 Kilometer.

Die Moselle ist ein richtiger Fluss mit recht viel Strömung und Seitenwind. Wir ankern im Windschatten einiger Bäume und machen Mittagsrast. Es gibt Rohschinken, Trockenwurst und allerlei französische Käse.
An der Sonne ist es recht heiss, im Schatten frostig. Am Ufer sehen wir ab und zu ein malerisches Dorf. Oft aber nur Schilfteiche, Wälder und Wiesen. Doch je weiter nördlich wir kommen, auch immer wieder mal eine Kohle-Verladestelle oder stillgelegte Stahlwerke.

Auf der Moselle sind die Schleusen deutlich grösser. Die „Écluse de Custine“ ist gigantische 185 Meter lang und 12 Meter breit. Um uns die 6 Meter abzusenken verbraucht sie 13‘300 Tonnen Flusswasser.

In Pont-à-Mousson machen wir Feierabend für heute. Wir machen direkt am Altstadt-Quai fest. Für Frau G. und mich ist das sehr praktisch, denn für uns ist hier Schluss. Am Abend werden wir nach Nancy zurückfahren. Zuerst geniessen wir aber auf dem dreieckigen „Place Duroc“ die Nachmittagssonne und diverse Kaltgetränke. Perrier-Grenadine und bière brune und so.

Kurz vor acht kommt der Regionalzug und wir fahren nach Nancy zurück. Die Fahrt ist kurz und schön. Der Sonnenuntergang taucht die Flusslandschaft in ein ganz zauberhaftes Licht.
Auf dem Weg vom Bahnhof Nancy zum Hafen wo unser Möbelwagen steht, machen wir einen Boxenstopp auf der „Place Stanislas“. Es sind viele Leute da und in den Strassencafés herrscht Hochbetrieb. Wir geniessen diese „südländische“ Lebensart. Erst als es langsam Dunkel wird, schleppen wir uns die restliche Strecke bis zum Hafen. Ein langer und wunderschöner Tag endet in einem genüsslichen Schnarchen.

Heute sind wir 32 Kilometer, 3 Schleusen und zwei Klappbrücken gefahren. Und mit der Regionalbahn zurück nach Nancy.

24. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: vier Tage in einer Stunde

Das Wetter hat wieder auf sommerlich gewechselt. Heute muss ich mit dem Zug nach Saverne und den Möbelwagen abholen und dann in Sélestat die Frau G. einfangen. Sie kommt mit dem Zug aus Luzern und hat einige Tage Kurzurlaub.
Nach der Morgenfütterung fahre ich mit der berühmten Einschienen-Strassenbahn zum Bahnhof. Peti und mehrere Café aux lait verkürzen mir die Wartezeit auf den Zug. Überdies bietet der Bahnhof praktischerweise auch noch schnellen Internet- und Sandwichzugang.

Auf dem Bahnhof Nancy sind die Bahnsteige wie folgt nummeriert: 9, x, dann 2 bis 8. Ich fahre ab Perron 2, also dem dritten Gleis!
Pünktlich im 12:15 fährt mein Zug los. Die Bahnstrecke führt oft direkt dem Kanal entlang. Nach acht Minuten Fahrzeit erreichen wir in Dombasle-sur-Meurthe, wo wir gestern Mittagspause machten. Unsere gestrige Nachmittagsetappe bewältigt der Regionalzug heute also in 8 Minuten − wir brauchten dafür dreieinhalb Stunden.

Nach einer Stunde landen wir in Saverne. Der Möbelwagen steht genau so da, wie ich ihn vor einer Woche abgestellt habe; unversehrt und unberührt. Ich mache mir nämlich jedes Mal etwas Sorgen, aber bis jetzt ist es jedesmal gut gegangen.
Genüsslich brumme ich gegen Süden. Immer den Weinbergen entlang, dann hinter Strasbourg herum und weiter bis nach Sélestat. Unterwegs erledige ich noch gschwind die Einkäufe und säubere mit dem Hochdruckreiniger unser Bad.

In Sélestat finde ich direkt vor dem Bahnhof einen schattigen und kostenlosen Parkplatz. Es weht ein milder Wind und beinahe hätte ich den Hausputz gemacht. Lass es dann aber bleiben; denn im Dunkeln wird Frau G. den Unterschied ja sowieso nicht bemerken.

Pünktlich um 19:17 kommt der Zug aus Basel. Und schon sehe ich weit hinten die Frau G. hüpfen und winken. Sie kommt direkt von der Arbeit und eine Computertasche ist ihr einziges Reisegepäck.

Zum Übernachten fahren ins nahegelegene Kintzheim. Hier waren wir schon oft und hier ist es uns immer sehr wohl.

23. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: da steht ein bäriger Kerl

Die Nacht war wieder frostig und die Morgensonne muss sich erst durch den Dunst kämpfen. Umsonst. Denn kurz darauf beginnt es zu regnen und es weht ein eisiger Wind.
Wir fahren zum Einkaufen und Müll entsorgen nach Einville. Einville ist ein nettes lothringisches Dorf mit einer Bäckerei, zwei Brücken und vielen „zu-verkaufen“-Häusern. Und mit einem kleinen Hafen ohne Boote.

Erst nieselt es Regen, dann wird es nach und nach immer sonniger. Am Mittag legen wir in Dombasle-sur-Meurthe an und machen Fütterung. Die Allee-Bäume blühen rosarot und die Sonne gewinnt langsam die Oberhand.

Gleich hinter Dombasle-sur-Meurthe fahren wir mitten durch eine mächtige Fabrikanlage. Hier soll der weltgrösste Kalkbrennofen in Betrieb sein, steht geschrieben. Ich bin fast schon ein wenig begeistert.
Wie dem auch sei, wir fahren daran vorbei und weiter westwärts. Die Landschaft ist wie aus dem Ferienprospekt. Die Wiesen saftig grün, die Rapsfelder kitschig gelb und der Himmel himmelblau. Dann überqueren wir die Kanalbrücke von „Saint-Phlin“; oben Kanal, unten Fluss. Eigenartig.

Gegen Abend erreichen wir Nancy, mein vorläufiges Reiseziel. Wir finden einen sehr schönen Liegeplatz im Bassin Sainte-Catherine, leinen das Schiff an und machen gleich einen ersten Stadtspaziergang. „Nancy“ heissen ja sonst eher dickliche, englische Schulmädchen mit Zahnspange und Betonfrisur. Unser Nancy ist aber eine quirlige Stadt mit Hunderttausend Einwohnern. Mal schauen wie es von Nahe aussieht?

Der bekannteste Ort in Nancy ist der „Stanislas-Platz“ zwischen dem Hafen und dem Bahnhof. Ein streng quadratischer Platz mit klassizistischen Häusern rundherum. Alles aus weissem Sandstein und üppig vergoldetem Zierrat. Und mit einem mächtigen Denkmal in der Mitte. Oben drauf steht – wenig überraschend – der König Stanislas aus Bronze. Ein bäriger Kerl mit einer geblümten Decke über der Schulter und einem Säbel als Gehhilfe.
Er war damals König von Polen, wie ich dem Kleingedruckten auf dem Sockel entnehmen kann. Aber warum hier in Lothringen ein polnischer König steht, weiss ich auch nicht so genau?

Rund um die „Place Stanislas“ stehen das Rathaus, Theater, Museum, Grand Hotel, usw. Dazu noch ein Triumphbogen, ein Palast und zwei Dutzend Restaurants und Cafés. Das Auffallendste sind aber die unglaublich prunkvollen Schmiedeeisen-Gitter zwischen den Häusern. Sie hielten einst den Pöbel vom Platz fern. Das Blattgold funkelt und glitzert im Sonnenlicht.

Wir sitzen im Strassencafé bis uns die Kälte nachhause treibt. Wie jeden Abend kochen Lucy und Peti ein richtiges Mehrgang-Menü. Heute verspeisen wir eine Terrine mit buntem Salat und gedünsteten Lachs mit Fenchelgemüse. In Anbetracht ihrer Kochkünste wirken meine diesbezüglichen Fähigkeiten beschämend simpel. Ich kann bloss Wurstbrot – und abwaschen.

Heute sind wir 26 Kilometer, 10 Schleusen und zwei Kanalbrücken gefahren. Ich habe zudem eine lebende und eine andere Bisamratte gesehen.

21. Mai 2016

der Todeskuss

Das Warnschild ist eindeutig: Vorsicht ...

... der Kuss der gemeinen Schwarzlippe ist tödlich!

20. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: 15 Meter 70 hinunter

Die Morgensonne kitzelt mich wach. Sie fingert durchs Küchenfenster direkt bis in meine Kajüte hinein. Nur noch ein paar Nebelschwaden erinnern an den gestrigen Regentag.
Die Schleuse von Réchicourt ist mit 15,70 Meter ungewöhnlich hoch – oder tief. Sie ersetzt schliesslich auch sieben alte Schleusen mit einer einzigen Fahrt. Allerdings verbraucht sie dazu stolze 4‘000 Tonnen Wasser. So ist es verständlich, dass uns der Schleusenwärter zu dritt hineinquetscht. Langsam versinken wir im nassen Betonschlund.

Der Kanal kurvt ganz lieblich durch die Hügellandschaft. Aber alle ein, zwei Kilometer unterbricht eine Schleuse unsere Fahrt. Es geht jedes Mal etwa zweieinhalb Meter hinunter. Die Schleusen schalten wir mit einer Fernbedienung. Die Bedienung ist recht übersichtlich, denn das Gerät hat nur eine einzige grüne Taste. Drauf drücken – und die Schleusen fährt mit uns hinunter. Oder hinauf, je nachdem in welcher Richtung man unterwegs ist.

Die meisten Schleusen sind unbemannt. Nur ab und zu ist ein Schleusenwärter da und mäht Gras oder flickt irgendwas. Aber an einer Schleuse gammeln mindestens ein Dutzend Katzen herum. Sie stehen alle an der Schleusenmauer und schauen mich fragend an. Vermutlich hoffen sie auf einen Imbiss, aber ich hab doch auch nix.

Am  Mittag legen wir in Lagarde an. Ein „typisches Lothringer Städtchen“ sei das. Das wollen wir keinesfalls verpassen, also schlendern ins Zentrum und schauen uns um. Eine Kirche, ein Rat- und Schulhaus und eine handvoll gewöhnlicher Häuser. Das ist alles. Aber wer weiss, vielleicht ist ja genau das „typisch lothringisch“?
Viele Häuser sind zu verkaufen. Man könnte das jetzt als „dynamischen Immobilienmarkt“ interpretieren – es zeugt aber wohl eher vom Abwandern und Aussterben!

In  Lagarde gibt es aber auch eine Gaststätte. Wir bestellen das Tagesmenü; heute Couscous mit Merguez und dreierlei Fleisch. Wie immer ist das Menü preiswert und die Portionen riesig.
Als wir nach der umfangreichen Ess- und Baukultur endlich weiterfahren, ist es bereits drei Uhr. Egal, wir haben ja Zeit. Es ist sommerlich heiss und das weisse Deck blendet. Und ich schlage zum millionsten Mal mein Knie an. Immer an derselben Stelle.

Unser Rhein-Marne-Kanal ist jeden Tag bis sieben Uhr abends in Betrieb. Als wir um sechs in unsere letzte Schleuse hineinfahren wollen, geht nichts mehr. Lucy ruft an: Feierabend. Deshalb übernachten wir heute direkt vor der Schleuse №17 in Bauzemont. Das Dorf besteht aus ein paar abgeschabten Häusern und ist von sehr überschaubarer Hübschheit. Aber es weht ein lauer Abendwind und die Vögel zwitschern herzallerliebst. Die Sonne wirft ganz laaange Schatten.

Lucy zaubert einen Gemüseauflauf. Denn in der Schiffsküche gibt es Elektrobackofen, der − schier unglaublich − mit Batteriestrom läuft. Und das nicht nur abends, nein, auch zum Frühstück gibt es meistens warmes Brot! Dabei weiss doch jeder Wohnmobilist, dass so etwas mit Batteriestrom gar nicht geht!

Heute sind wir 22 Kilometer und 11 Schleusen gefahren. Und wir haben zwei ersoffene Hunde und eine ersoffene Wildsau überholt.

19. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: der Trend zur Zweit-Salatschleuder

Als ich heute Morgen in meiner Kajüte erwache, höre ich euphorischen Beifall. Erst fühle ich mich wie ein Superstar, bemerke dann aber, dass es bloss der Regen ist, der aufs Deck plätscherte.
Gegen Mittag lässt der Regen nach. Wir tankten gegenüber noch gschwind Frischwasser und fahren dann los. Die Landschaft ist nett und nass. Grasland, Bäume und ab und zu feuchte Kühe. Manchmal sehe ich am Horizont einige Hausdächer. Meist sind das kleine Dörfer mit Namen wie „Schneckenbusch“ oder ähnlichem.

Das Dorf Hesse liegt als einziges direkt am Kanal. Ein Gaststätte-Reklameschild lockt uns an Land. Wir knüpfen unser Schiff an einen rostigen Tanker und schauen uns die Sache aus der Nähe an. Das Lokal ist geöffnet und nett; und wir konsumieren einige bunte Getränke. Dann stapfen wir zurück und fahren weiter.

Das Wetter bessert sich nach und nach, manchmal tröpfelt sogar schon etwas Sonne aus den Wolken. Der Kanal ist gut und so rauschen wir mit 6 km/h dahin – 8 wären erlaupt. Gegen vier Uhr sind wir in Gondrexange. Hier zweigt der Saar-Kanal ab. Und ab hier geht unser Kanal mitten durch einen See hindurch. Allerdings merken wir davon kaum etwas, da der Kanal mehr als zwei Meter unter dem Seespiegel liegt und wir deshalb statt des Sees bloss Böschungen sehen.

Der Kanal ist selten gerade, meistens kurvt er wild in der Gegend herum. Das kommt daher, weil das Kanalwasser naturgemäss immer waagerecht sein muss und der Kanal deshalb auf gleicher Höhe am Hang entlang läuft. Ganz anders als die Flüsse, die immer ganz unten im Tal fliessen. Manchmal können wir vom Kanal über die Häuser hinweg in die Landschaft hinaus schauen. Manchmal liegt er aber auch in einem Geländeeinschnitt und wir sehen nur Gestrüpp.

Gegen Abend endet unsere Fahrt in Réchicourt vor der Schleuse №2. Wie angedroht ist sie heute wegen dem Feiertag geschlossen. Egal, wir wollen hier sowieso Feierabend machen. Wir finden einen hübschen Liegeplatz, leinen unser Schiff an und geniessen den wolkigen Sonnenuntergang.

Peti zaubert einige Flaschen Bier aus dem Bootskeller hervor. Sonst trinke ich sowas ja nicht, aber dieses ist von einer kleinen Brauerei in Interlaken. Die heisst „Haarige Kuh Brauerei“ und ihr Bier schmeckt nach mehr.
Bei Nachessen kochen geht die Salatschleuder kaputt. Und ich kann es kaum glauben, aber Peti und Lucy haben in ihrem Boot nicht nur einen Keller, sondern auch eine Ersatz-Salatschleuder!

Heute sind wir 25 Kilometer gefahren − und keine einzige Schleuse.

18. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: Schiffe quetschen

Mit einigen knusprigen Baguette unter dem Arm bin ich schon um acht zurück beim Boot. Die Mannschaft ist auch schon auf und es duftet herrlich nach Kaffee und Abenteuer. Nach dem Frühstück verlassen wir Saverne und fahren auf dem Rhein-Marne-Kanal bergauf.
Die Landschaft ist lieblich und frühlingsgrün. Der Kanal schlängelt sich durch den Wald. Und alle paar Hundert Meter steht eine Schleuse quer im Kanal. Jedes Mal lupft uns das Wasser drei, vier Meter höher hinauf.

Nach 13 Schleusen erreichen wir das Schiffshebewerk Arzviller; eine monströse Beton-Konstruktion aus den 1960-er Jahren. Wir fahren in einen riesgengrossen Trog hinen, der dann mitsamt uns, unserem Schiff und dem Wasser schräg den Berg hinauffährt. Oben fahren wir wieder aus dem Trog hinaus in den Kanal. So als sei es das Normalste der Welt.

Kurz nachdem wir das letzte Mal hier waren, passierte im Schiffshebewerk ein kleines Hopperla. Der Trog fuhr von der Bergstation los, obwohl das Tor noch offen war. Ein Ausflugsschiff war grad am hineinfahren und wurde eingeklemmt. Zum Glück. Denn das zerquetschte Schiff verhinderte den Absturz des Troges. Und es verzögerte das Auslaufen des Kanalwassers, das sonst alles überschwemmt hätte.
Inzwischen ist der Trog wieder repariert und neu angemalt. Wir lassen uns die 50 Meter den Abhang hinauf ziehen und kommen unbeschadet oben an.

Das Hebewerk ersetzt 17 alte Schleusen. Diese stehen seither ungenutzt und mit halboffenen Toren im Wald herum. Wir spazieren dem leeren Kanal entlang und bewundern die historische Technik an. Alles blüht und grünt, bloss der Himmel wird immer grauer und trüber, so dass wir in einer Bar Zuflucht suchen müssen.

Wir wollen noch etwas weiter fahren, denn morgen soll das Wetter schlecht sein und wegen einem Feiertag arbeiten die Schleusen nicht. Und wir wollen nicht im Niemandsland zwischen zwei Schleusen den Regen aussitzen.
Mit dem Schiffshebewerk haben wir den Gipfel des Kanals erreicht. Nun geht es längere Zeit flach weiter. Dafür müssen wir aber noch durch zwei Kanal-Tunnel.

Der erste Tunnel ist 2,3 Kilometer lang. Das scheint nicht sehr lang, wenn man aber mit nur 5 km/h fährt, dauert die Durchfahrt halt eine halbe Stunde. Der zweite Tunnel ist kürzer, dafür läuft er direkt neben dem Eisenbahntunnel. Wir dümpeln ein bisschen herum, weil wir hoffen, dass ein Zug kommt. Und tatsächlich schiesst aufs Mal ein TGV aus dem Tunnel. Ich winke und fotografiere gleichzeitig. Der Lokführer winkt und pfeift zurück – und ich verwackle vor lauter Begeisterung das Foto!

Nach dem zweiten Tunnel liegen nun ein ganzer Fahrtag ohne eine einzige Schleusen oder Tunnel vor uns. Somit können wir morgen trotz Feiertag ungehindert fahren. Doch jetzt wollen wir erstmal hier übernachten. Kaum haben wir angelegt, beginnt es zu regnen. Heftig. Selbst die Fischer in ihren schulterhohen Gummistiefeln flüchten ins Trockene.

Heute sind wir 22 Kilometer, 13 Schleusen, 2 Tunnels und mit einem Schiffs-Lift gefahren.