24. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: vier Tage in einer Stunde

Das Wetter hat wieder auf sommerlich gewechselt. Heute muss ich mit dem Zug nach Saverne und den Möbelwagen abholen und dann in Sélestat die Frau G. einfangen. Sie kommt mit dem Zug aus Luzern und hat einige Tage Kurzurlaub.
Nach der Morgenfütterung fahre ich mit der berühmten Einschienen-Strassenbahn zum Bahnhof. Peti und mehrere Café aux lait verkürzen mir die Wartezeit auf den Zug. Überdies bietet der Bahnhof praktischerweise auch noch schnellen Internet- und Sandwichzugang.

Auf dem Bahnhof Nancy sind die Bahnsteige wie folgt nummeriert: 9, x, dann 2 bis 8. Ich fahre ab Perron 2, also dem dritten Gleis!
Pünktlich im 12:15 fährt mein Zug los. Die Bahnstrecke führt oft direkt dem Kanal entlang. Nach acht Minuten Fahrzeit erreichen wir in Dombasle-sur-Meurthe, wo wir gestern Mittagspause machten. Unsere gestrige Nachmittagsetappe bewältigt der Regionalzug heute also in 8 Minuten − wir brauchten dafür dreieinhalb Stunden.

Nach einer Stunde landen wir in Saverne. Der Möbelwagen steht genau so da, wie ich ihn vor einer Woche abgestellt habe; unversehrt und unberührt. Ich mache mir nämlich jedes Mal etwas Sorgen, aber bis jetzt ist es jedesmal gut gegangen.
Genüsslich brumme ich gegen Süden. Immer den Weinbergen entlang, dann hinter Strasbourg herum und weiter bis nach Sélestat. Unterwegs erledige ich noch gschwind die Einkäufe und säubere mit dem Hochdruckreiniger unser Bad.

In Sélestat finde ich direkt vor dem Bahnhof einen schattigen und kostenlosen Parkplatz. Es weht ein milder Wind und beinahe hätte ich den Hausputz gemacht. Lass es dann aber bleiben; denn im Dunkeln wird Frau G. den Unterschied ja sowieso nicht bemerken.

Pünktlich um 19:17 kommt der Zug aus Basel. Und schon sehe ich weit hinten die Frau G. hüpfen und winken. Sie kommt direkt von der Arbeit und eine Computertasche ist ihr einziges Reisegepäck.

Zum Übernachten fahren ins nahegelegene Kintzheim. Hier waren wir schon oft und hier ist es uns immer sehr wohl.

23. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: da steht ein bäriger Kerl

Die Nacht war wieder frostig und die Morgensonne muss sich erst durch den Dunst kämpfen. Umsonst. Denn kurz darauf beginnt es zu regnen und es weht ein eisiger Wind.
Wir fahren zum Einkaufen und Müll entsorgen nach Einville. Einville ist ein nettes lothringisches Dorf mit einer Bäckerei, zwei Brücken und vielen „zu-verkaufen“-Häusern. Und mit einem kleinen Hafen ohne Boote.

Erst nieselt es Regen, dann wird es nach und nach immer sonniger. Am Mittag legen wir in Dombasle-sur-Meurthe an und machen Fütterung. Die Allee-Bäume blühen rosarot und die Sonne gewinnt langsam die Oberhand.

Gleich hinter Dombasle-sur-Meurthe fahren wir mitten durch eine mächtige Fabrikanlage. Hier soll der weltgrösste Kalkbrennofen in Betrieb sein, steht geschrieben. Ich bin fast schon ein wenig begeistert.
Wie dem auch sei, wir fahren daran vorbei und weiter westwärts. Die Landschaft ist wie aus dem Ferienprospekt. Die Wiesen saftig grün, die Rapsfelder kitschig gelb und der Himmel himmelblau. Dann überqueren wir die Kanalbrücke von „Saint-Phlin“; oben Kanal, unten Fluss. Eigenartig.

Gegen Abend erreichen wir Nancy, mein vorläufiges Reiseziel. Wir finden einen sehr schönen Liegeplatz im Bassin Sainte-Catherine, leinen das Schiff an und machen gleich einen ersten Stadtspaziergang. „Nancy“ heissen ja sonst eher dickliche, englische Schulmädchen mit Zahnspange und Betonfrisur. Unser Nancy ist aber eine quirlige Stadt mit Hunderttausend Einwohnern. Mal schauen wie es von Nahe aussieht?

Der bekannteste Ort in Nancy ist der „Stanislas-Platz“ zwischen dem Hafen und dem Bahnhof. Ein streng quadratischer Platz mit klassizistischen Häusern rundherum. Alles aus weissem Sandstein und üppig vergoldetem Zierrat. Und mit einem mächtigen Denkmal in der Mitte. Oben drauf steht – wenig überraschend – der König Stanislas aus Bronze. Ein bäriger Kerl mit einer geblümten Decke über der Schulter und einem Säbel als Gehhilfe.
Er war damals König von Polen, wie ich dem Kleingedruckten auf dem Sockel entnehmen kann. Aber warum hier in Lothringen ein polnischer König steht, weiss ich auch nicht so genau?

Rund um die „Place Stanislas“ stehen das Rathaus, Theater, Museum, Grand Hotel, usw. Dazu noch ein Triumphbogen, ein Palast und zwei Dutzend Restaurants und Cafés. Das Auffallendste sind aber die unglaublich prunkvollen Schmiedeeisen-Gitter zwischen den Häusern. Sie hielten einst den Pöbel vom Platz fern. Das Blattgold funkelt und glitzert im Sonnenlicht.

Wir sitzen im Strassencafé bis uns die Kälte nachhause treibt. Wie jeden Abend kochen Lucy und Peti ein richtiges Mehrgang-Menü. Heute verspeisen wir eine Terrine mit buntem Salat und gedünsteten Lachs mit Fenchelgemüse. In Anbetracht ihrer Kochkünste wirken meine diesbezüglichen Fähigkeiten beschämend simpel. Ich kann bloss Wurstbrot – und abwaschen.

Heute sind wir 26 Kilometer, 10 Schleusen und zwei Kanalbrücken gefahren. Ich habe zudem eine lebende und eine andere Bisamratte gesehen.

21. Mai 2016

der Todeskuss

Das Warnschild ist eindeutig: Vorsicht ...

... der Kuss der gemeinen Schwarzlippe ist tödlich!

20. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: 15 Meter 70 hinunter

Die Morgensonne kitzelt mich wach. Sie fingert durchs Küchenfenster direkt bis in meine Kajüte hinein. Nur noch ein paar Nebelschwaden erinnern an den gestrigen Regentag.
Die Schleuse von Réchicourt ist mit 15,70 Meter ungewöhnlich hoch – oder tief. Sie ersetzt schliesslich auch sieben alte Schleusen mit einer einzigen Fahrt. Allerdings verbraucht sie dazu stolze 4‘000 Tonnen Wasser. So ist es verständlich, dass uns der Schleusenwärter zu dritt hineinquetscht. Langsam versinken wir im nassen Betonschlund.

Der Kanal kurvt ganz lieblich durch die Hügellandschaft. Aber alle ein, zwei Kilometer unterbricht eine Schleuse unsere Fahrt. Es geht jedes Mal etwa zweieinhalb Meter hinunter. Die Schleusen schalten wir mit einer Fernbedienung. Die Bedienung ist recht übersichtlich, denn das Gerät hat nur eine einzige grüne Taste. Drauf drücken – und die Schleusen fährt mit uns hinunter. Oder hinauf, je nachdem in welcher Richtung man unterwegs ist.

Die meisten Schleusen sind unbemannt. Nur ab und zu ist ein Schleusenwärter da und mäht Gras oder flickt irgendwas. Aber an einer Schleuse gammeln mindestens ein Dutzend Katzen herum. Sie stehen alle an der Schleusenmauer und schauen mich fragend an. Vermutlich hoffen sie auf einen Imbiss, aber ich hab doch auch nix.

Am  Mittag legen wir in Lagarde an. Ein „typisches Lothringer Städtchen“ sei das. Das wollen wir keinesfalls verpassen, also schlendern ins Zentrum und schauen uns um. Eine Kirche, ein Rat- und Schulhaus und eine handvoll gewöhnlicher Häuser. Das ist alles. Aber wer weiss, vielleicht ist ja genau das „typisch lothringisch“?
Viele Häuser sind zu verkaufen. Man könnte das jetzt als „dynamischen Immobilienmarkt“ interpretieren – es zeugt aber wohl eher vom Abwandern und Aussterben!

In  Lagarde gibt es aber auch eine Gaststätte. Wir bestellen das Tagesmenü; heute Couscous mit Merguez und dreierlei Fleisch. Wie immer ist das Menü preiswert und die Portionen riesig.
Als wir nach der umfangreichen Ess- und Baukultur endlich weiterfahren, ist es bereits drei Uhr. Egal, wir haben ja Zeit. Es ist sommerlich heiss und das weisse Deck blendet. Und ich schlage zum millionsten Mal mein Knie an. Immer an derselben Stelle.

Unser Rhein-Marne-Kanal ist jeden Tag bis sieben Uhr abends in Betrieb. Als wir um sechs in unsere letzte Schleuse hineinfahren wollen, geht nichts mehr. Lucy ruft an: Feierabend. Deshalb übernachten wir heute direkt vor der Schleuse №17 in Bauzemont. Das Dorf besteht aus ein paar abgeschabten Häusern und ist von sehr überschaubarer Hübschheit. Aber es weht ein lauer Abendwind und die Vögel zwitschern herzallerliebst. Die Sonne wirft ganz laaange Schatten.

Lucy zaubert einen Gemüseauflauf. Denn in der Schiffsküche gibt es Elektrobackofen, der − schier unglaublich − mit Batteriestrom läuft. Und das nicht nur abends, nein, auch zum Frühstück gibt es meistens warmes Brot! Dabei weiss doch jeder Wohnmobilist, dass so etwas mit Batteriestrom gar nicht geht!

Heute sind wir 22 Kilometer und 11 Schleusen gefahren. Und wir haben zwei ersoffene Hunde und eine ersoffene Wildsau überholt.

19. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: der Trend zur Zweit-Salatschleuder

Als ich heute Morgen in meiner Kajüte erwache, höre ich euphorischen Beifall. Erst fühle ich mich wie ein Superstar, bemerke dann aber, dass es bloss der Regen ist, der aufs Deck plätscherte.
Gegen Mittag lässt der Regen nach. Wir tankten gegenüber noch gschwind Frischwasser und fahren dann los. Die Landschaft ist nett und nass. Grasland, Bäume und ab und zu feuchte Kühe. Manchmal sehe ich am Horizont einige Hausdächer. Meist sind das kleine Dörfer mit Namen wie „Schneckenbusch“ oder ähnlichem.

Das Dorf Hesse liegt als einziges direkt am Kanal. Ein Gaststätte-Reklameschild lockt uns an Land. Wir knüpfen unser Schiff an einen rostigen Tanker und schauen uns die Sache aus der Nähe an. Das Lokal ist geöffnet und nett; und wir konsumieren einige bunte Getränke. Dann stapfen wir zurück und fahren weiter.

Das Wetter bessert sich nach und nach, manchmal tröpfelt sogar schon etwas Sonne aus den Wolken. Der Kanal ist gut und so rauschen wir mit 6 km/h dahin – 8 wären erlaupt. Gegen vier Uhr sind wir in Gondrexange. Hier zweigt der Saar-Kanal ab. Und ab hier geht unser Kanal mitten durch einen See hindurch. Allerdings merken wir davon kaum etwas, da der Kanal mehr als zwei Meter unter dem Seespiegel liegt und wir deshalb statt des Sees bloss Böschungen sehen.

Der Kanal ist selten gerade, meistens kurvt er wild in der Gegend herum. Das kommt daher, weil das Kanalwasser naturgemäss immer waagerecht sein muss und der Kanal deshalb auf gleicher Höhe am Hang entlang läuft. Ganz anders als die Flüsse, die immer ganz unten im Tal fliessen. Manchmal können wir vom Kanal über die Häuser hinweg in die Landschaft hinaus schauen. Manchmal liegt er aber auch in einem Geländeeinschnitt und wir sehen nur Gestrüpp.

Gegen Abend endet unsere Fahrt in Réchicourt vor der Schleuse №2. Wie angedroht ist sie heute wegen dem Feiertag geschlossen. Egal, wir wollen hier sowieso Feierabend machen. Wir finden einen hübschen Liegeplatz, leinen unser Schiff an und geniessen den wolkigen Sonnenuntergang.

Peti zaubert einige Flaschen Bier aus dem Bootskeller hervor. Sonst trinke ich sowas ja nicht, aber dieses ist von einer kleinen Brauerei in Interlaken. Die heisst „Haarige Kuh Brauerei“ und ihr Bier schmeckt nach mehr.
Bei Nachessen kochen geht die Salatschleuder kaputt. Und ich kann es kaum glauben, aber Peti und Lucy haben in ihrem Boot nicht nur einen Keller, sondern auch eine Ersatz-Salatschleuder!

Heute sind wir 25 Kilometer gefahren − und keine einzige Schleuse.

18. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: Schiffe quetschen

Mit einigen knusprigen Baguette unter dem Arm bin ich schon um acht zurück beim Boot. Die Mannschaft ist auch schon auf und es duftet herrlich nach Kaffee und Abenteuer. Nach dem Frühstück verlassen wir Saverne und fahren auf dem Rhein-Marne-Kanal bergauf.
Die Landschaft ist lieblich und frühlingsgrün. Der Kanal schlängelt sich durch den Wald. Und alle paar Hundert Meter steht eine Schleuse quer im Kanal. Jedes Mal lupft uns das Wasser drei, vier Meter höher hinauf.

Nach 13 Schleusen erreichen wir das Schiffshebewerk Arzviller; eine monströse Beton-Konstruktion aus den 1960-er Jahren. Wir fahren in einen riesgengrossen Trog hinen, der dann mitsamt uns, unserem Schiff und dem Wasser schräg den Berg hinauffährt. Oben fahren wir wieder aus dem Trog hinaus in den Kanal. So als sei es das Normalste der Welt.

Kurz nachdem wir das letzte Mal hier waren, passierte im Schiffshebewerk ein kleines Hopperla. Der Trog fuhr von der Bergstation los, obwohl das Tor noch offen war. Ein Ausflugsschiff war grad am hineinfahren und wurde eingeklemmt. Zum Glück. Denn das zerquetschte Schiff verhinderte den Absturz des Troges. Und es verzögerte das Auslaufen des Kanalwassers, das sonst alles überschwemmt hätte.
Inzwischen ist der Trog wieder repariert und neu angemalt. Wir lassen uns die 50 Meter den Abhang hinauf ziehen und kommen unbeschadet oben an.

Das Hebewerk ersetzt 17 alte Schleusen. Diese stehen seither ungenutzt und mit halboffenen Toren im Wald herum. Wir spazieren dem leeren Kanal entlang und bewundern die historische Technik an. Alles blüht und grünt, bloss der Himmel wird immer grauer und trüber, so dass wir in einer Bar Zuflucht suchen müssen.

Wir wollen noch etwas weiter fahren, denn morgen soll das Wetter schlecht sein und wegen einem Feiertag arbeiten die Schleusen nicht. Und wir wollen nicht im Niemandsland zwischen zwei Schleusen den Regen aussitzen.
Mit dem Schiffshebewerk haben wir den Gipfel des Kanals erreicht. Nun geht es längere Zeit flach weiter. Dafür müssen wir aber noch durch zwei Kanal-Tunnel.

Der erste Tunnel ist 2,3 Kilometer lang. Das scheint nicht sehr lang, wenn man aber mit nur 5 km/h fährt, dauert die Durchfahrt halt eine halbe Stunde. Der zweite Tunnel ist kürzer, dafür läuft er direkt neben dem Eisenbahntunnel. Wir dümpeln ein bisschen herum, weil wir hoffen, dass ein Zug kommt. Und tatsächlich schiesst aufs Mal ein TGV aus dem Tunnel. Ich winke und fotografiere gleichzeitig. Der Lokführer winkt und pfeift zurück – und ich verwackle vor lauter Begeisterung das Foto!

Nach dem zweiten Tunnel liegen nun ein ganzer Fahrtag ohne eine einzige Schleusen oder Tunnel vor uns. Somit können wir morgen trotz Feiertag ungehindert fahren. Doch jetzt wollen wir erstmal hier übernachten. Kaum haben wir angelegt, beginnt es zu regnen. Heftig. Selbst die Fischer in ihren schulterhohen Gummistiefeln flüchten ins Trockene.

Heute sind wir 22 Kilometer, 13 Schleusen, 2 Tunnels und mit einem Schiffs-Lift gefahren.