25. Juni 2012

Baltikum: Stadt im Gefängnis

Vor mehr als hundert Jahren baute man nördlich von Liepāja einen riesigen Marinehafen für die Russischen Ostseeflotte. Und neben den Hafen auch gleich noch eine ganze Militärstadt – Karosta. Nach dem Zweiten Weltkrieg stationierte die Sowjetmarine in Karosta etwa dreissig ihrer Atom U-Boote.

Anfang der 1990-er Jahre war dann der "Kalte Krieg" zu Ende war und die nun Russische Marine zog weg. Übrig blieb eine Militärstadt ohne Militär. Tote Häuser ohne Bewohner.

Viele der Militäranlagen und Wohnhäuser stehen auch heute noch leer. Zugemauert und/oder zugewachsen. Trostlos und grau. Doch inzwischen leben auch wieder Menschen hier.

Die Mole im Hafen ragt mehr als eineinhalb Kilometer ins Meer hinaus. Fast bis zum Horizont. Von da draussen sieht Lettland ganz flach aus.

Bis vor nicht so langer Zeit befand sich in Karosta auch ein gefürchtetes Gefängnis. Von hier sei nie ein Ausbruch gelungen, sagt man. Heutzutage können hier Touristen den Gefängnisalltag nachäffen. Peinlich. Wir schauen uns einige Innenräume an. Sieht aus wie ein - öhm - Gefängnis…

Als ich heute Morgen aus dem Schlafwagen blinzelte, sah ich die Morgensonne. Und die ersten Fischer schon wieder im Gebüsch hocken. Schlafen die eigentlich nie?

23. Juni 2012

Baltikum: am Ende kein Liebesbaum

Pāvilosta ist ein gewöhnliches Fischerdorf. Die Hauptsehenswürdigkeit ist ein historisches Fischerboot auf einem Betonsockel. Die Fischerboote im Hafen schauen aber auch nicht viel anders aus. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist die „Liebes-Kiefer“. Und die wollen wir sehen. Wir sehen unzählige Kiefern; die Liebeskiefer aber nicht. Später sehen wir ein Bild davon - ein krummer, zerzauster Nadelbaum.

Kurz darauf erreichen wir unser vorläufiges Etappenziel, Liepāja. Morgen werden wir von hier nach Deutschland fähren. Wirklich schön ist Liepāja ja eigentlich nicht, hässlich aber auch nicht. Eher so etwas dazwischen.

Bis vor zwanzig Jahren war Liepāja nämlich eine gesperrte Militärstadt und ein sowjetisches Sperrgebiet. Da brauchte sie nicht hübsch sein! Seither gibt man sich aber sichtlich Mühe, die Stadt etwas netter zu machen.

Die St. Meinard Kirche sah ich schon einmal in Hannover. An der „EXPO 2000“ war sie der Pavillon des Vatikans. Er hat seither aber arg gelitten, sieht etwas schäbig aus.

Seit bald fünf Wochen versuche ich ein Schnitzel zu essen. Bisher haben alle Versuche seiten des Schnitzels fehlgeschlagen. Aber heute scheint mein Tag zu sein - mein Schnitzeltag.
Wäre das Schnitzel nicht unter zu viel und viel zu schmierigem Käse begraben; es wäre in Ordnung gewesen. Jedenfalls für hiesige Verhältnisse.

In der Stadt hat es auf vielen Fusswegen so Rillen, damit sich die Blinden orientieren können. Und nun weiss ich auch, warum die Rillen manchmal plötzlich enden? Blinden-Roulett. Die Anwohner wetten drauf, wo der Blinde hinläuft und aufprallt…

22. Juni 2012

Baltikum: Sand und noch Meer

Unweit von Kuldīga, dem sogenannten „Venedig von Lettland“, besuchen wir eine weitere Sehenswürdigkeit. Abgelegen in einem Wald liegt ein altes Quarzsand-Bergwerk.

Die Strasse dahin ist eine Baustelle und eigentlich gesperrt. Ein Einheimischer meint, wir sollen trotzdem fahren - geht doch. Dann führt uns ein Waldpfad zu einem steilen Abhang. Und da ist er, der Eingang zu den Stollen.

Ein Waldarbeiter begleitet uns in die Unterwelt. Die Gänge sind oft niedrig und weit verzweigt. Mit einigen Kerzen und meiner Taschenlampe dringen wir ins Innere vor. Finster und feucht, rund um uns nur Quarzsand.
Den Sand brauchte man damals für das berühmte Riga-Glas.

In wenigen Tagen müssen wir leider heimfahren. Darum wollen wir noch einen Tag am Strand verbringen. Bis dahin ist ja nicht mehr weit. Doch der Strand bei Jūrkalne liegt im Nebel! Und das an einem Nachmittag im Juni. Also gibt es vorerst keine Strandparty.

Wir und machen Hausarbeiten. Das heisst: liegen, lesen und Chips. Ich nutze die Gunst der Stunde und knüpfe meine neue Hängematte zwischen die Bäume. Sie entstammt einem Sonderangebot vom ALDI und erreicht mit mir anscheinend ihre Belastungsgrenze. Jedenfalls gibt sie nicht sehr vertrauenerweckende Geräusche von sich. Knooorz-chrrr-chnirrrsch…

Gegen Abend geht der Nebel weg und wir sehen doch noch die Steilküste. Viel Sand und Wasser. Schön.
Steine können sie gut - die Letten..

21. Juni 2012

Baltikum: das Zündhölzli ist aus

Für heute suchten wir ein nettes Landstädtchen um etwas abzuhängen. Eines mit niedlichen Strassencafés und schattigen Alleen. Kuldīga, das „Venedig von Lettland“ hörte sich gut an. Da fahren wir mal hin.

Venedig von Lettland? Ich kenne bloss dieses eine Venedig in Italien. Aber das können sie keinesfalls gemeint haben. Kuldīga hat bloss einen alten Mühlenkanal und knapp zwei Brücken - keine Kanäle, keine Paläste, keine Gondeln, gar nix. Vor allem kein Venedig. Aber abgesehen davon ist Kuldīga ganz nett und gemütlich.

Wenn schon kein Venedig, dann haben sie hier zumindest den „längsten Wasserfall Europas“! Zweihundert Meter – nicht hoch – lang ist der. Also eigentlich breit. Der Fluss stürzt hier über eine Felsenschwelle unglaubliche eineinhalb Meter in die Tiefe. Tosende Gischt, gähnender Abgrund, oder so. Wir sind ein wenig begeistert.

Kuldīga dürfte natürlich den Freunden des osteuropäischen Streichholzes ein Begriff sein. Hier wurden hundert Jahre lang die weltnekannten „Vulkāns“ Zündhölzli hergestellt.

Die Fabrik wurde 1878 von einem Louis Hirschmann gegründet und produzierte jedes Jahr viele, viele, viele Millionen Streichhölzern. Im Jahr 1996 und 2000 brannten einige Fabrikanlagen ungeschickterweise ab. Und im Jahr 2004 wurde dann die Produktion für immer eingestellt. Seither werden die übrig gebliebenen Gebäude von den Anwohnern ausgeschlachtet und gefleddert. Privatisiert.

Wir haben einen wirklich schönen Übernachtungsplatz unter einer mächtigen Kastanie. Ganz nahe am Zentrum und doch völlig ruhig. Dazu der laue Sommerabend und dann in der Nacht ein kühler Luftzug. Nettlich.

20. Juni 2012

Baltikum: frisch gewaschen und aufgehübscht

Riga. Die gestrige Regnerei ist vorbei, heute ist wieder wunderschönes Wetter. Riga ist eine grosse Stadt, die Altstadt ist aber recht überschaubar. Reichdekorierte Häuser und schöne Plätze. Doch es schaut bloss historisch aus, die meisten Bauten sind keine fünfzig Jahre alt. Denn im Krieg wurde die Altstadt fast völlig zerstört.

In den riesigen Markthallen wurden früher mal für Luftschiffe gebaut. Fünf Hallen voller Gemüse, Fleisch, Käse - und Leuten.

Während wir aufs Zmittag warteten, bestaunten wir eine Skulptur gegenüber. Frau G. ist sich sicher eine Kröte, die ein Kaninchen belästigt, zu sehen. Ich hingegen sehe ganz eindeutig eine Nonne auf einem sehr, sehr müden Pferd. Wir können es nicht entscheiden und einigten uns deswegen auf einen Kompromiss. 

Unser Waschsalon ist von erlesener Eleganz und verfügte über einen umfangreichen Fuhrpark. Während sich unsere Wäsche im warmen Wasser vergnügte, gehe ich zum „Frizētava“ und lasse mir den Pelz kürzen.

Aufgehübst und mit sauberen Kleider verlassen wir gegen Abend Riga. Es war schön hier, wir kommen sicher wieder mal. Wir übernachten in Jaunpils hinter dem Schloss.

Das Abendlicht ist wunderschön. Wie in so einem Frauenfilm; mit einem Landarzt und einer unheilbaren erkrankten, früh verwitweten und einsam unglücklichen ehemaligen Adligen. Oder so.