2. Oktober 2015

bim Tschingg: eine Einsiedelei und Kastanienfall

Nach dem Besuch des heiligen San Carlo Borromeo wollen wir die Burg Rocca, gegenüber in Arona am Lago Maggiore, besteigen. Als wir da ankommen ist grad Markt. Also schlendern wir an den Ständen entlang und naschen von den Leckereien. Pralle Würste, schimmliger Käse und allerlei Backwaren werden feilgeboten. Und alles schmeckt wunderbar. Die Sonne brennt und ich habe Durst, also setzen wir uns in den Schatten und trinken Bläterliwasser aus tintenblauen Flaschen.
Die Burg Rocca (N45.7743, E8.5718) sparen wir uns fürs nächste Mal auf. Ich war schon ein paarmal auf dem hohen Turm und kann sagen; es lohnt sich. Der Ausblick ist grossartig und das Gemäuer auch; obwohl es wegen dem Besuch von Napoleons Soldaten neu aufgebaut werden musste.

Die Strasse schlängelt sich zuerst am Seeufer entlang nordwärts, dann führt sie durch die Hügellandschaft vorbei an verlassenen Fabriken und durch wenig schöne Dörfer. In Reno fahren wir an die Klippe und schauen über den See hinüber nach Stresa. Tief unter uns klebt die Einsiedelei „Santa Caterina del Sasso“ (N45.87673, E8.59692) am fast senkrechten Felsen. Ein Weg, oder besser gesagt eine Treppe, führt hinunter.

Die klosterartige Anlage steht auf einem schmalen Felsvorsprung und duckt sich an die senkrechte Felswand. Eine schmale Arkade verbindet die Gebäude untereinander, dazwischen sind kleine Höfe mit Katzenkopf-Pflaster und knorrigen Bäumen. Und einer grossartigen Aussicht über den See, der heute, Föhn sei Dank, tiefblau zwischen den Bergen liegt.
Zuhinterst steht die alte Kirche mit der Grablege des ersten Einsiedlers und zahlreichen Ex-Voto-Täfelchen. Die Besucher, mehrheitlich alte Leute, stauen sich vor den Sehenswürdigkeiten; aber wir sind grösser und können oben drüber schauen. Die Kirche selbst ist ein Sammelsurium aller möglichen Baustile und ein Durcheinander von Gemäuer älterer Bauten.

Die Treppe hinauf erspare ich mir und nehme stattdessen den neuen Lift. Seit etwa fünf Jahren baggert der die müden Besucher hinauf zum Ausgang. Frau G. hingegen bezwingt die Treppe – und ist vor mir oben.
Wir bleiben gleich wo wir sind und übernachten auf dem Parkplatz. Gegen Abend fahren die Ausflügler heim und es wird ganz ruhig. Die Bäume werfen lange Schatten und ab und zu Kastanien nach uns.

1. Oktober 2015

bim Tschingg: Carlo in den Kopf geklettert

An der Uferpromenade sieht man Stresa die glorreiche Vergangenheit an. Hotelpaläste aus dem Belle Epoche reihen sich entlang der Strasse. Jeder schöner und üppiger dekoriert wie die anderen. Manch ein Hotel erinnert einem an ein Märchenschloss in einem kitschigen Frauenfilm. Güldene Ziergitter, weisser Marmor und zwischen den Blumenrabatten weiden Pfaue. Vielleicht etwas dekadent, aber doch nett anzuschauen.

In den Parkanlagen stehen zurzeit Skulpturen von WAL (Walter Guidobaldi). Sie erinnern mich an die dicken Figuren vom Botero, diese hier sind aber schneeweiss und aus Polyester.
In Stresa gibt es auch ein paar ganz hübsche Altstadtgassen. Wir schlendern den Ladengeschäften entlang und schauen uns die Auslagen an. Das meiste ist Kitsch, ausser man steht auf Plastik-Heiligenfiguren, Strandneger-Schmuck oder handgetöpferte Seifen odr so.

Dank dem Föhn haben wir heute einen ganz klare Sicht aufs gegenüberliegende Ufer und die Borromäischen Inseln. Der Himmel, die Berge, der See - alles blau in blau in blau. Herrlich schön. Aber dann landen immer mehr Reisebusse und kalben Ausflüglern - und wir fahren weiter.

Etwas unterhalb von Stresa steht in Arona auf einem Hügel eine riesige Figur des heiligen Carlo Borromeo. Er ist hier im Ort aufgewachsen, später wurde er Erzbischof von Mailand und dann heilig. Die Statue ist etwa halb so hoch wie die Freiheitsstatue, aber doppelt so alt. Sie wurde 1698 fertiggestellt und sie diente später dem Bartholdi, dem Erbauer der Freiheitsstatue, als Vorbild.

Zuerst geht es sechzig Treppenstufen hinauf auf den Steinsockel wo die Statue steht. Der Kerl ist fast 24 Meter hoch, ist aus Kupferblech und innen hohl. Durch eine schmale Luke steigen wir hinein. Zwischen Kupferhaut und der steinernen Stützkonstruktion ist grad genug Platz für ein Leiter nach oben. 85 Stufen später endet der Granitkern auf Schulterhöhe. Hier ist  ein wenig Platz, nicht viel, grad genug um anderen Besuchern auszuweichen. Und von hier kann man in den Kopf hinauf klettern.

Frau G. ist selber überrascht, wie problemlos sie hier hinauf kam. Wir schauen durch die Nasenlöcher hinunter zum ausgestreckten Arm und den Besuchern weit unten auf dem Rasen. Durchs Ohr sehen wir auf der andern Seite des Lago Maggiore Arona und die Burg Rocca.
Schon erstaunlich, mit welche einem Eifer und mit welch einer handwerklichen Hingabe die Leute damals den "Colosso di san Carlo Borromeo" schufen. Heute werden solche Monumente nur noch von verhaltensoriginellen Diktatoren erbaut.

30. September 2015

bim Tschingg: die beste Pizza des Universums

Ich glaube nicht, dass man Hühner zu den Singvögeln zählt; Güggel ganz bestimmt nicht. Von fünf bis neun kräht sich ein Gockel in unserer Nachbarschaft die Seele aus dem Leib. Will er damit seine Hühner bezirzen oder den Nachbarhahn beeindrucken? Man weiss es nicht.

Die Morgensonne scheint und die Uferpromenade strahlt im warmen Licht. Wir verlassen Mergozzo und fahren an den nahen Ortasee. Von hier kurvt einen schmale und stotzige Strasse bergauf. Tiefe Schluchten und finstere Kastanienwälder. Schon erstaunlich, wie bergig es hier ist. Dutzende Spitzkehren später sind wir oben auf dem Berg und in Madonna del Sasso. Die Wallfahrtskirche thront zuoberst auf einem Felszacken; direkt am Abgrund. Von hier haben wir einen grandiosen Ausblick. Direkt unter uns liegt der Ortasee mit seiner Klosterinsel, am Ostufer das Dorf Orta und am Horizont die Schneeberge des Tessins.

Unter den alten Kastanienbäumen hinter der Kirche steht ein kleiner Imbiss-Kiosk. Wir trinken Cappuccino und essen Gipfli mit Nutella-Füllung. Und schauen zu, wie verspätete Hochzeitgäste zur Kirche hinunter eilen.
Das Dörfchen Pella liegt direkt unterhalb von Madonna del Sasso am Seeufer. Ein milder Wind weht über den See und die Sonne macht einen auf Spätsommer. Wir fläzen uns im Möbelwagen aufs Sofa und schauen den Gänsen zu. Dann übermannt mich ein Nickerchen.

Am Südende vom See stehen viele Fabriken und sie alle produzieren, wie wir auf den Werbeschildern sehen, Wasserhähne. Eine nicht, die macht Duschschläuche. Wir wenden und fahren am anderen Seeufer wieder hinauf bis Omegna. Hier ist heute Flohmarkt und ein Seeschwimmen. Wir stöbern im Gerümpel und feuern die Schwimmer an. Es gewinnt ein junger Kerl mit Oberarmen, so dick wie meine Oberschenkel. Er steigt aus dem Wasser und ist kaum ausser Atem.
Es beginnt zu regnen und wir flüchten uns in ein Strassenlokal. Gegenüber spielt ein Rollstuhlfahrer auf dem Akkordeon Seemanns-Schlager. Dann endet der Regen so schnell er begonnen hat und wir fahren hinüber an den Lago Maggiore.

Wir schauen uns den Bahnhof von Stresa an. Das Bahnhofsgebäude war einmal ein klassischer Prunkbau mit schönen Granit-Gewänden und üppig geschnitzten Vordächern. War er einmal – denn heute sieht er aus wie eine alternde Nutte, die Furchen und Risse einfach bunt überpinselt und mit etwas Billigschmuck aufgehübscht.


Der Grund warum wir ausgerechnet am Bahnhof Stresa sind, ist die Pizzeria „Orient-Express“. Nicht wenig Einheimische behaupten, hier gäbe es die beste Pizza des Universums. Mal sehen. Ich verschlinge eine Pizza "Orient-Express" mit Gorgonzola und viel Zwiebeln drauf. Die ist richtig gut, aber der Frau G. ihre mit scharfer Salami ist noch besser.
Wir übernachten neben dem Güterschuppen direkt am Bahnhof.

29. September 2015

bim Tschingg: Buben aus Stein am Lago Maggiore

Gar nicht weit nach der italienischen Grenze liegt das Städtchen Cannobio (N46.06365, E8.70031) direkt am Lago Maggiore. Von der Hauptstrasse schlendern wir durch ganz schmale Gassen hinunter an die Uferpromenade. Hier ist jeden Sonntag viel Trubel und Wochenmarkt. Heute ist weder das eine noch das andere und deshalb ist es ganz beschaulich.

Wir flanieren hin und her, schauen den Leuten in den Strassenlokalen in die Teller und erfreuen uns an der milden Herbstsonne. Der Föhn hat die Wolken weggeblasen, nun ist es himmelblau. Dafür ist jetzt der See wild. Die Wellen schäumen und gurgeln.

Füdliblutte Buben aus Stein schmücken ein Kirchenportal. Wer ausser der katholischen Kirche kann sich so etwas heutzutage noch erlauben - nackte Kinder als Wandschmuck. Wir bestaunen die neu-barocke Pracht. Schöne Bürgerhäuser, am See entlang haben sie Arkaden, wo sich zahlreiche Ladengeschäfte verstecken. Cannobio ist vermutlich das schönster Städtchen an den oberitalienischen Seen.

Unsere Strasse führt weiterhin am Ufer entlang. Sie ist schmal und oft regelrecht an den Steilhang geklebt. Wo immer es eine halbwegs ebene Fläche hat, stehen Häuser. Oft prächtige Villen aus längst vergangenen Zeiten, umgeben von Palmen und Blumengärten.
Eigentlich wollten wir in Verbania den botanischen Garten der Villa Taranto (N45.9259, E8.56546) anschauen, aber die Umstände ergeben es anders. Wir fahren um die Ecke herum und am an den Lago di Mergozzo entlang bis nach Mergozzo. Feierabend.

Das wenig bekannte Dörfchen Mezzano (N45.9608, E8.44957) hat eine nette Uferpromenade mit zwei, drei Gaststätten. Mitten auf dem Platz steht das Wahrzeichen des Dorfes, eine fünfhundert Jahre alte Ulme. Stahlrohre stützen den altersschwachen Baum - er sieht aus wie ein Einbeiniger mit Krücken.
Wir übernachten auf dem grossen Parkplatz oberhalb vom Dorf. Der Föhn bläst und ennet dem Wäldchen donnern die Güterzüge vorbei.

28. September 2015

zum Tschingg: sauromantisches Tessin

«Komm, fahren wir ein paar Tage in den Süden», sagt Frau G. Sie hat zwischen ihrer Weiterbildung und der neuen Arbeitsstelle grad ein paar Tage Zeit. Und das Wetter ist auch gut. Also brummen wir mit unserem Möbelwagen ins Tessin. Es regnet, doch wie weiter wir in den Süden kommen, desto schöner wird es. Wir machen in Iragna einen ersten Kaffee-Halt.

Iragna mochte ich schon immer. Eigentlich ist das Dorf nichts Besonderes; klein, eng, ärmlich. Aber irgendwie auch ur-gemütlich. Die alten Häuser sind komplett aus Granit; auch die Dächer. Die neueren sind verputzt und gerne grässlich angestrichen. Einzig das neue Gemeindehaus hebt sich wohltuend ab; Granit, Beton und Architektur.
Wir setzen uns ins Gasthaus am Dorfplatz (N46.3288, E8.9674) und schauen den Leuten zu. Viele sind heute nicht unterwegs – liegt wohl am bescheidenen Wetter.

Das Nachbardorf heisst Lodrino. Man erkennt es an dem grossen Steinbruch, wo der Granit für die Häuser abgebaut wird. Gleich daneben steuern wir das „Grotto“ an – ein Gartenlokal, ähnlich einem bayrischen Biergarten. Unter mächtigen Kastanien stehen hier einige verlassene Häuser. Dazwischen das Grotto mit Granit-Tischen, Granit-Bänken und einer Feuerstelle aus Granit. Zwischen den Bäumen hängen bunte Lampen, aber jetzt ist Mittagszeit und die Lampen sind unbunt. Aber sauromantisch ist‘s, trotz Nieselregen.
Am Nebentisch hocken einige alte Männer und besprechen die allgemeine Lage. Sie trinken Rotwein und essen Häppchen. Einer im Übergwändli hat Hände wie Bärentatzen, rau und behaart. Er arbeitet wohl im Steinbruch? Dann schlägt die Kirchenglocke zwölf und die Männer gehen nachhause; Mittagessen.

Wir fahren auf der alten Strasse weiter südwärts. Immer an der westlichen Talflanke entlang. Vorbei an Bellinzona und quer durch Locarno bis nach Brissago. Dann den Berg hinauf nach Porta. Die Strasse ist schmal, aber enorm steil. In Porta steht seit zwanzig Jahren eine Kapelle (N46.12335, E8.70773), die ich mir schon lange mal anschauen wollte. Ein, auf den ersten Blick simpler, Kubus aus Beton und Granit. Aber mit einer raffinierten Lichtführung im Inneren und einem grandiosen Ausblick über den Lago Maggiore.

26. September 2015

zu Fuss nach China

Auch eine Weltreise beginne mit dem ersten Schritt, sagt doch dieser Volksmund. Gestern bin ich nach China losgelaufen und wollte mal schauen wie sich das anfühlt.
Nach knapp zweihundert Meter erkannte ich dann aber, es wiederholt sich immerzu – die Lauferei. Ich kehrte um und ging nachhause.