31. Mai 2016

Centovalli: Locarno und so

Am letzten Wochenende hatte die katholische Schweiz schon wieder Feiertag und wir nutzen die Gunst der Stunde für eine Reise in den Süden. Die Wetterprognose ist zwar nicht so verlockend, aber im Moment ist es schön und wir fahren über den Gotthardpass. Manche Schneemauern sind noch haushoch, doch auf der Südseite des Passes ist es schon aper.

Am Bahnhof Cadenazzo stellen wir unseren Möbelwagen ab und fahren mit der Regionalbahn TILO nach Locarno. Die Sonne scheint und auf der Piazza Grande ist heute Markt. Allerlei Gefilztes, Gestricktes und Getöpfertes, daneben auch Bergkäse, Würste und Rauchfleisch. Wir kaufen Sandwiches und setzen uns damit unter eine mächtige Platane am Seeufer. Die Palmen rascheln im Wind und die Bananen haben bereits fingerlange Früchte. Die Wellen plätschern ans Ufer und die Tauben schauen uns gierig zu.

Die alte Standseilbahn ächzt wehleidig, als sie mit uns nach Madonna del Sasso hinauf fährt. Madonna del Sasso ist ein prächtiges Kloster auf einer Felsnase hoch über Locarno. Zum Glück steht es gleich bei der Bahnstation, denn das Gelände ist unglaublich schroff und jeder Fussweg ist eine Treppe.

Von aussen wirkt die Anlage sehr malerisch und die Aussicht ist grandios. Innen ist die Kirche seeehr üppig ausgeschmückt und überaus bunt bemalt. Kitschig könnte man auch sagen.
An den Wänden hängen hunderte Ex-voto Tafeln; Votivtafeln zum Dank und im Gedenken an ein überstandenes Unheil. Geburten, Stürze, Brände, Lawinen und zahlreiche Autounfälle – und jedesmal ging es dank der Madonna del Sasso gut aus. Manche der Tafeln kommen aus Ungarn, Spanien, Albanien oder aus allen möglichen Kantonen.

Dann kommen Wolken und wir bahnfahren nach Cadenazzo zurück. Unser Möbelwagen steht unberührt hinter dem Bahnhof. Wir rollen damit genüsslich gegen Süden und nächtigen in Verscio, einem steinigen Dorf am Eingang zum Centovalli. Centovalli – die „Hundert-Täler“.
Wir finden einen netten Übernachtungsplatz direkt an einem wasserlosen Wildbach. Aus dem Dorf treibt der Wind Musik zu uns hinüber; zuerst AC/DC und Iron Maiden, später Youssou N’Dour, Khaled und Bob Marley. Dann Janis Joplin und Joe Cocker – ich fühle mich wie in den 1990-er Jahren.
Die Spatzen zwitschern und es riecht nach Regenwetter. Isch schön hier.

30. Mai 2016

die Rhabarber; ein dummes Gemüse

Ausser den Stängeln ist bei der Rhabarber so ziemlich alles giftig oder ungeniessbar. Und die Stängel schmecken bitter und nach ‒ öööhm ‒ Rhabarber. Immerhin galt sie bei den Chinesen als gesund und sie verwenden sie seit 4‘000 Jahren gegen die Scheisserei.
Aber weshalb sollte ich so etwas essen wollen? Weshalb ‒ weil Frau G. neulich daraus einen zauberhaften Kuchen buk. Oder müsste es „backte“ heissen? Oder eher „buckte“?

Hier nur kurz das Rezept: Der Boden ist ein blindgebackener Mürbeteig. Darauf kommen eine Feuchtigkeitsschutzschicht aus geschmolzener Schokolade und ein Belag.
Für den Belag müssen zuerst die Rhabarberstücke in Grenadine-Sirup weichgekocht werden; Frau G. hatte keinen und kochte sie deshalb in etwas Zuckerwasser. Dann verrührte sie Rahm, weisse Schokolade und Magerquark zu einer geschmeidigen Masse. Diese kommt auf den Mürbeteigboden und die erkaltete Rhabarber-Schlotze und die restliche Feuchtigkeitssperr-Schokolade-Splitter darüber. Den Kuchen nun kaltstellen bis er sich verfestigt.

Der Frau G. ihr Rhabarberkuchen schmeckt wunderbar und nach mehr.

28. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: heute am Rhein Rhone Kanal

Die Vögel zwitschern in der Morgensonne. Sonst ist es hier am „canal Rhône au Rhin“, der Konkurrenz des Rhein-Marne-Kanals, ganz ruhig, bloss das Schleusenwasser plätschert leise. Dann muss ich aufstehen und es auch plätschern lassen.
Gestern Abend fuhr kein einziges Schiff hier vorbei. Doch nun kommt das erste schon beim Frühstück. Ein schönes Wohnboot namens „San Francisco“ fährt mitten durch unser Esszimmer.

Gegen Mittag packen wir zusammen und rollen über Altkirch und Basel genüsslich nachhause. Über den Alpen am Horizont stossen kuglige Wolken auf und künden vom Wetterwechsel.

Als ich den Möbelwagen zu seiner garage bringe, steht da mein kleines Auto mit offenen Fenstern auf dem Vorplatz! Anscheinend habe ich vor zehn Tagen vergessen, es wegzustellen!

27. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: der heilige Finger

Wir übernachteten gestern Abend noch einmal mitten in Nancy am Bassin Sainte-Catherine. In der Ferne hörten wir die Fussballer jubeln. Später feuerte jemand Böllerschüsse in die Luft, dann fuhren alle von unserem Parkplatz weg. Und morgens um sechs ging die Sonne auf und einige Jugendliche diskutierten nebenan lautstark die Tagesaktualitäten. Insgesamt war es eine eher unruhig Nacht.

Kurz nach Nancy sehen wir schon von weitem die beiden Türme der Kirche von Saint-Nicolas-de-Port. Die will ich mir unbedingt gschwind anschauen, denn da bewahrt man einen Finger vom Sankt Nikolaus auf.
Die Kirche ist ja nicht zu verfehlen, aber wo im Grossen Innenraum finden wir den heiligen Finger. Ich frage den Sigrist. Ganz einfach; ich muss einen Euro einwerfen und dann öffnet sich surrend das Fenster zur Schatzkammer, das Licht geht an – und da ist er. Goldgefasst und grell beleuchtet, der Nikolaus-Finger. Wir sind – öööhm – erstaunt.

Aber wie ist dem Nikolaus ein Finger abhanden gekommen? Hat er ihn wie eine angerauchte Zigarette einfach irgendwo liegen lassen? Oder hat er ihn aus Versehen mit der Baumschere abgezwackt, oder hat ihn damals der Totengräber ein Souvenir mitlaufen lassen? Man weiss es nicht.

Nach diesem kulturellen Höhepunkt fahren wir weiter heimwärts. Die Landschaft ist hügelig. Rapsfelder und kleine Dörfer, wo die Häuser zu verkaufen sind. Halt typisch Lothringen!
Je länger je mehr graue Wolken ziehen auf. Wir nähern uns den Vogesen. Die Hügel werden zu Bergen und sind nun mit Tannen bewachsen. Die Strasse steigt stetig an. Dann kommen wir auf den Col de la Schlucht, die Passhöhe ist auch gleichzeitig die Grenze zum Elsass. Doch wir bleiben in Lothringen und fahren auf der Route des Crêtes weiter südwärts.

Diese Strasse führt – wie es der Name schon sagt – immer der Krete entlang. Ursprünglich war sie eine Militärstrasse und versorgte im 1. Weltkrieg die französischen Soldaten. Auf der andern Seite der Krete war das Elsass, und das gehörte damals zu Deutschland. Also zum Feindesland. Zahlreiche Denkmäler und Soldatenfriedhöfe erinnern an diese unrühmliche Zeit.

Hier auf etwa 1‘400 Meter Höhe liegen noch Schneeresten. Doch überall spriessen schon die Frühlingsblumen – und die Ausflügler.
Ein Töff-Fahrer transportiert seinen Hund im Tankrucksack und der Hund trägt eine extra Hunde-Brille. Zum Glück hat er bloss einen kleinen Hund dabei, mit einem Rottweiler stellte ich mir das schwierig vor?

Irgendwann enden dann die Vogesen und wir müssen wohl oder übel wieder ins Tal hinunter. Wir übernachten an der berühmten Schleusentreppe von Valdieu. Ganz einsam und malerisch. Ausser uns sind nur noch zwei Fischer und ein Fischreiher hier.

26. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: Nancy ist ein hübsches Mädchen

Die Morgensonne wirft einen Lichtstreifen in unseren Möbelwagen. Die Schiffe im Hafen schlafen noch, aber der Autoverkehr brummt schon angeregt. Ich drehe mich noch einmal, aber dann locken mich die warme Dusche und ein heisses Kaffee raus.
Im „marche central“ ist schon reger Betrieb. Die Markthallen platzen schier vor Waren; Früchte, Gemüse, Fleisch, Käse, Fische und alles, was man sonst noch essen kann wird feilgehalten. Wir schlendern herum und bewundern all die Leckerkeiten. Zehn Sorten Tomaten...

An der Place Charles III, gleich hinter den Markthallen, setzen wir und in ein Café und schauen den Leuten zu. Lauter schöne Menschen mit schönen Kleidern. Die Franzosen scheinen zu wissen, wie man schön lebt? Und mein café aux lait ist auch ganz gut.
Hier in Nancy gibt es Gebäude aus vier Epochen: aus dem Mittelalter, dem Klassizismus des 19. Jahrhunderts, dem Jugendstil und der Moderne der 1960-er Jahre. Manchmal stehen sie auch gleich nebeneinander – und stören sich mehr oder weniger.

Von den Markthallen schlendern wir quer über den Stanislas-Platz bis in den mittelalterlichen Stadtteil. Hier zwischen dem Herzogspalast und dem alten Zitadellen-Stadttor bilden die Häuser enge Gassen. Kleinen Läden und zahlreiche Restaurants, Brasseries und Cafés lassen mich erneut einspeicheln. Doch zuerst wollen wir uns noch ein wenig umsehen.

Diese gotischen Fratzen und Spottfiguren an der Kirchenfassade sollten einst böse Geister, Unwetter und Andersgläubige abhalten. Heutzutage locken sie eher die Touristen an.
Der „Parc de la Pépinière“ war einst ausschliesslich der Obrigkeit vorbehalten. Nachdem diese in der Revolution ihre Köpfe verloren, steht er auch der einfachen Bevölkerung offen. Und an so einem wunderschönen Tag wie heute, nutzt sie ihn auch gerne. Überall sonnen sich Pärchen, spielen Kinder oder picknicken Familien. Sportler sportlen, Springbrunnen springen und die Pfauen gockeln stolz umher. Wir setzen uns in ein Gartenlokal und futtern einen schönen Salat.


Gegen Abend machen wir eine Stadtrundfahrt mit der Einschienen-Strassenbahn T1. Zuerst nach Osten an die Meurthe und dann auf den Hügel im Westen. Insgesamt sind wir fast 25 Kilometer unterwegs und sehen Nancy aus einer ganz anderen Perspektive.

Der Bahnhofplatz wurde erst vor kurzem umgebaut. Nun gibt es am Boden unzählige bunte Leuchten. Beim genaueren Hinschauen sehen wir dann, dass es eigentlich die Dachfenster der darunterliegenden Tiefgarege sind.

Den restlichen Abend verbringen wir am Place Stanislas. Heute sind unglaublich viele Leute da und die Fassaden leuchten goldig vor dem Nachthimmel. Wunderschön. Aber meine "Bière brune" hat 9% Alkohol und legt in kurzer Zeit mein Gehirn lahm. Gut, dass unser Bett ganz in der Nähe steht.