2. Juni 2016

Centovalli-Bahn

Die Centovalli-Bahn verbindet seit hundert Jahren Domodossola und Locarno, also die Gotthard- mit der Simplonbahn. Sie wird von der schweizerischen FART und der italienischen SSIF gemeinsam betrieben. Und obwohl die Schmalspurstrecke bloss 51 Kilometer lang ist, dauert die Fahrt fast zwei Stunden.

Unser Zug startet im U-Bahn-Bahnhof unter den Geleisen des grossen Bahnhofs Domodossola. Wir fahren heute mit dem „Panorama-Express“ der SSIF, einem eckigen Zug mit einer äusserst fragwürdigen Ästhetik.
Die Bahnlinie kurvt zuerst steil den Hang hinauf und dann weiter ansteigend durch das Hochtal Valle Vigezzo. Weiden und Wälder und ab und zu ein kleines Dorf. Der Bahnhof Santa Maria Maggiore ist mit 830 Meter über Meer der höchste der Strecke. Hier stehen einige Züge herum. Auf einem Schienenstück mitten im Rasen sogar ein uralter Triebwagen aus den Anfangszeiten.

Die Geleise winden sich den Felsen entlang. Unzählige Brücken und Tunnels sorgen für einen halbwegs graden Streckeverlauf, so dass der Zug manchmal fast 35 km/h schnell fahren tut.

Auf der Strecke gibt es jede Menge Bahnhöfe und Haltestellen. Oft stehen sie mitten im Wald, bloss ein kleines Bahnhof-Häuschen an den Schienen; das dazugehörige Dorf ist höher oben und nicht zu sehen.
Dafür überqueren wir auf schwindelerregend hohen Brücken mehrmals das Tal. Manche unserer Mitreisenden getrauen sich kaum noch aus dem Fenster zu schauen und krallen ihre Finger ins Sitzpolster.

In Locarno endet die Fahrt so, wie sie in Domodossola begann – im Untergrund unter den Geleisen.
Wir sind heute nicht nur wegen lustig nach Locarno gefahren. Nein, Frau G. hat gestern in einem Schaufenster sooo tolle „Sommerschuhe“ gesehen und will sie heute unbedingt anprobieren. Als sie sie dann anhat, sehen sie aus wie Hufe.

Später fahren wir wieder mit der Centovalli-Bahn zurück und nächtigen neben dem Bahnhof Domodossola. Morgen ist Markttag und wir wollen früh da sein.

1. Juni 2016

Centovalli: das Tal der Kaminfeger

Strahlendblauer Himmel über Verscio. Wobei hier im Centovalli der Himmel bloss ein blauer Streifen zwischen den bewaldeten Steilhängen ist. Wir brummen genüsslich dem engen Tal entlang. Die Strasse ist schmal und kurvig; manchmal auch steil. Links geht es manchmal fast senkrecht in die Schlucht hinunter.

Die kleinen Dörfer kleben am Steilhang und die Strasse würgt sich zwischen den Häusern hindurch. Ab und zu sehen wir die Bahnlinie der Centovallibahn. Mich begeistern die kühnen Brücken, die himmelhoch die Schlucht überqueren.

Das erste richtige Dorf nach der Schweizergrenze heisst „Re“ und ist bloss eine Handvoll Häuser und eine Kirche. Aber eine was für welche? Ein richtiger Kirchenpalast aus einheimischem Gneis und mit Kuppeln wie eine türkische Moschee.

Die Basilika von Re, „Santuario Della Madonna Del Sangue“, ist ein weitherum beliebter Wallfahrtsort und ist der „heiligen blutenden Maria“ gewidmet. Sie gilt als ganz besonders wundertätig und hilft vor allem bei Geburten. Im Inneren hängen Hunderte von Geburtsandenken die Wände.
Ganz besonders schön sind die modernen Glasfenster. Jetzt in der Morgensonne werfen sie bunte Flecken auf das Mauerwerk und die baumdicken Granitsäulen.

Nach Re geht das Centovalli nahtlos in das Valle Vigezzo über. Im Dorfzentrum von Santa Maria Maggiore stehen einige prächtig bemalte Häuser. Und ich vergesse sie zu fotografieren! Und hier steht auch das Kaminfeger-Museum, das die traurige Geschichte der Spazzacamino, der Kaminfeger-Buben, erzählt. Aber das ist eine andere Geschichte …

Das Wetter verschlechtert sich rasant. Als wir Domodossola erreichen ist es trübgrau und es sieht nach Regen aus. Wir lassen uns ganz in der Nähe des Bahnhofes häuslich nieder..

31. Mai 2016

Centovalli: Locarno und so

Am letzten Wochenende hatte die katholische Schweiz schon wieder Feiertag und wir nutzen die Gunst der Stunde für eine Reise in den Süden. Die Wetterprognose ist zwar nicht so verlockend, aber im Moment ist es schön und wir fahren über den Gotthardpass. Manche Schneemauern sind noch haushoch, doch auf der Südseite des Passes ist es schon aper.

Am Bahnhof Cadenazzo stellen wir unseren Möbelwagen ab und fahren mit der Regionalbahn TILO nach Locarno. Die Sonne scheint und auf der Piazza Grande ist heute Markt. Allerlei Gefilztes, Gestricktes und Getöpfertes, daneben auch Bergkäse, Würste und Rauchfleisch. Wir kaufen Sandwiches und setzen uns damit unter eine mächtige Platane am Seeufer. Die Palmen rascheln im Wind und die Bananen haben bereits fingerlange Früchte. Die Wellen plätschern ans Ufer und die Tauben schauen uns gierig zu.

Die alte Standseilbahn ächzt wehleidig, als sie mit uns nach Madonna del Sasso hinauf fährt. Madonna del Sasso ist ein prächtiges Kloster auf einer Felsnase hoch über Locarno. Zum Glück steht es gleich bei der Bahnstation, denn das Gelände ist unglaublich schroff und jeder Fussweg ist eine Treppe.

Von aussen wirkt die Anlage sehr malerisch und die Aussicht ist grandios. Innen ist die Kirche seeehr üppig ausgeschmückt und überaus bunt bemalt. Kitschig könnte man auch sagen.
An den Wänden hängen hunderte Ex-voto Tafeln; Votivtafeln zum Dank und im Gedenken an ein überstandenes Unheil. Geburten, Stürze, Brände, Lawinen und zahlreiche Autounfälle – und jedesmal ging es dank der Madonna del Sasso gut aus. Manche der Tafeln kommen aus Ungarn, Spanien, Albanien oder aus allen möglichen Kantonen.

Dann kommen Wolken und wir bahnfahren nach Cadenazzo zurück. Unser Möbelwagen steht unberührt hinter dem Bahnhof. Wir rollen damit genüsslich gegen Süden und nächtigen in Verscio, einem steinigen Dorf am Eingang zum Centovalli. Centovalli – die „Hundert-Täler“.
Wir finden einen netten Übernachtungsplatz direkt an einem wasserlosen Wildbach. Aus dem Dorf treibt der Wind Musik zu uns hinüber; zuerst AC/DC und Iron Maiden, später Youssou N’Dour, Khaled und Bob Marley. Dann Janis Joplin und Joe Cocker – ich fühle mich wie in den 1990-er Jahren.
Die Spatzen zwitschern und es riecht nach Regenwetter. Isch schön hier.

30. Mai 2016

die Rhabarber; ein dummes Gemüse

Ausser den Stängeln ist bei der Rhabarber so ziemlich alles giftig oder ungeniessbar. Und die Stängel schmecken bitter und nach ‒ öööhm ‒ Rhabarber. Immerhin galt sie bei den Chinesen als gesund und sie verwenden sie seit 4‘000 Jahren gegen die Scheisserei.
Aber weshalb sollte ich so etwas essen wollen? Weshalb ‒ weil Frau G. neulich daraus einen zauberhaften Kuchen buk. Oder müsste es „backte“ heissen? Oder eher „buckte“?

Hier nur kurz das Rezept: Der Boden ist ein blindgebackener Mürbeteig. Darauf kommen eine Feuchtigkeitsschutzschicht aus geschmolzener Schokolade und ein Belag.
Für den Belag müssen zuerst die Rhabarberstücke in Grenadine-Sirup weichgekocht werden; Frau G. hatte keinen und kochte sie deshalb in etwas Zuckerwasser. Dann verrührte sie Rahm, weisse Schokolade und Magerquark zu einer geschmeidigen Masse. Diese kommt auf den Mürbeteigboden und die erkaltete Rhabarber-Schlotze und die restliche Feuchtigkeitssperr-Schokolade-Splitter darüber. Den Kuchen nun kaltstellen bis er sich verfestigt.

Der Frau G. ihr Rhabarberkuchen schmeckt wunderbar und nach mehr.

28. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: heute am Rhein Rhone Kanal

Die Vögel zwitschern in der Morgensonne. Sonst ist es hier am „canal Rhône au Rhin“, der Konkurrenz des Rhein-Marne-Kanals, ganz ruhig, bloss das Schleusenwasser plätschert leise. Dann muss ich aufstehen und es auch plätschern lassen.
Gestern Abend fuhr kein einziges Schiff hier vorbei. Doch nun kommt das erste schon beim Frühstück. Ein schönes Wohnboot namens „San Francisco“ fährt mitten durch unser Esszimmer.

Gegen Mittag packen wir zusammen und rollen über Altkirch und Basel genüsslich nachhause. Über den Alpen am Horizont stossen kuglige Wolken auf und künden vom Wetterwechsel.

Als ich den Möbelwagen zu seiner garage bringe, steht da mein kleines Auto mit offenen Fenstern auf dem Vorplatz! Anscheinend habe ich vor zehn Tagen vergessen, es wegzustellen!

27. Mai 2016

Rhein-Marne-Kanal: der heilige Finger

Wir übernachteten gestern Abend noch einmal mitten in Nancy am Bassin Sainte-Catherine. In der Ferne hörten wir die Fussballer jubeln. Später feuerte jemand Böllerschüsse in die Luft, dann fuhren alle von unserem Parkplatz weg. Und morgens um sechs ging die Sonne auf und einige Jugendliche diskutierten nebenan lautstark die Tagesaktualitäten. Insgesamt war es eine eher unruhig Nacht.

Kurz nach Nancy sehen wir schon von weitem die beiden Türme der Kirche von Saint-Nicolas-de-Port. Die will ich mir unbedingt gschwind anschauen, denn da bewahrt man einen Finger vom Sankt Nikolaus auf.
Die Kirche ist ja nicht zu verfehlen, aber wo im Grossen Innenraum finden wir den heiligen Finger. Ich frage den Sigrist. Ganz einfach; ich muss einen Euro einwerfen und dann öffnet sich surrend das Fenster zur Schatzkammer, das Licht geht an – und da ist er. Goldgefasst und grell beleuchtet, der Nikolaus-Finger. Wir sind – öööhm – erstaunt.

Aber wie ist dem Nikolaus ein Finger abhanden gekommen? Hat er ihn wie eine angerauchte Zigarette einfach irgendwo liegen lassen? Oder hat er ihn aus Versehen mit der Baumschere abgezwackt, oder hat ihn damals der Totengräber ein Souvenir mitlaufen lassen? Man weiss es nicht.

Nach diesem kulturellen Höhepunkt fahren wir weiter heimwärts. Die Landschaft ist hügelig. Rapsfelder und kleine Dörfer, wo die Häuser zu verkaufen sind. Halt typisch Lothringen!
Je länger je mehr graue Wolken ziehen auf. Wir nähern uns den Vogesen. Die Hügel werden zu Bergen und sind nun mit Tannen bewachsen. Die Strasse steigt stetig an. Dann kommen wir auf den Col de la Schlucht, die Passhöhe ist auch gleichzeitig die Grenze zum Elsass. Doch wir bleiben in Lothringen und fahren auf der Route des Crêtes weiter südwärts.

Diese Strasse führt – wie es der Name schon sagt – immer der Krete entlang. Ursprünglich war sie eine Militärstrasse und versorgte im 1. Weltkrieg die französischen Soldaten. Auf der andern Seite der Krete war das Elsass, und das gehörte damals zu Deutschland. Also zum Feindesland. Zahlreiche Denkmäler und Soldatenfriedhöfe erinnern an diese unrühmliche Zeit.

Hier auf etwa 1‘400 Meter Höhe liegen noch Schneeresten. Doch überall spriessen schon die Frühlingsblumen – und die Ausflügler.
Ein Töff-Fahrer transportiert seinen Hund im Tankrucksack und der Hund trägt eine extra Hunde-Brille. Zum Glück hat er bloss einen kleinen Hund dabei, mit einem Rottweiler stellte ich mir das schwierig vor?

Irgendwann enden dann die Vogesen und wir müssen wohl oder übel wieder ins Tal hinunter. Wir übernachten an der berühmten Schleusentreppe von Valdieu. Ganz einsam und malerisch. Ausser uns sind nur noch zwei Fischer und ein Fischreiher hier.