16. Dezember 2012

Algerien: der Osterhase trägt Socken

aus meinem Tagebuch: Teil 7
Ostern, 7. April 96. Wir geniessen ein umfangreiches Frühstück, diesmal ohne Wind. Um uns herum wunderschöne Dünenlandschaften. Wir fahren weiter. El Alia ist wie ausgestorben, bloss ein paar Lümmel rennen uns hinterher, sonst scheint niemand da zu sein. Etwas westlich vom Dorf gibt es einen kleinen See mitten im Nichts. Und da fahren wir jetzt hin, ein Bad tut uns bestimmt gut. Das Wasser erweist sich aber als arg frostig, wir baden trotzdem.
Mit zwei Socken auf meinem Kopf und einer Visitenkarte unter der Oberlippe schauspielere ich ein Oster-Rätsel. Gefragt ist ein „saisonales Tier“?
Gemeinsam mit dem Rätsel-Gewinner futtern wir nachher einige Tüte farbiger Zucker-Eier. Nach unserem Badeplausch fahren wir noch ein Stück weiter nordwärts bis Chegguet. Gleich bei der Moschee nach rechts und dann genau gegen Westen, quer über die Dünen. Genau sowas gefällt uns.

Morgen geht es weiter, vollständig bekleidet. 

15. Dezember 2012

Algerien: die Sahara hat geschlossen

aus meinem Tagebuch: Teil 6
Ostern 6. April 96.
Diese Nacht blies der Wind durchgehen. Wir sind ganz eingetrocknet, wie Dörrzwetschgen. Ich lasse meinen Drachen steigen. Die Schnüre sirren im kräftigen Wind. Leo pfurrt mit seinem Didgeridoo. Die Töfffahrer fahren irgendwo in den Dünen Töff .
Wir fahren immer am westlichen Rand der Sanddünen entlang. Ab und zu fahren wir ins Dünenfeld hinein, scheitern aber meist nach einem halben Kilometer wegen des weichen Sandes. Die Dünen drücken unseren Kurs zunehmend nach Westen. Wir sollten aber nach Nordosten; das hat uns auch der Pistolenpolizist geraten.
Am Nachmittag sehen wir am Horizont ein Dorf; El Bour. Wir fahren hin. Ab hier gibt es eine Teerstrasse zurück nach Ouargla. Also fahren wir einkaufen. Gestern konnten wir nicht; am Freitag ist hier Sonntag! Wir setzen uns ins selbe Cafe wie gestern. Diesmal ungestört von der Polizei.

Wir schlendern über den Markt und kaufen Proviant ein. Eier, Gemüse, Brot und Milch. Man weiss ja nie, vielleicht fahren wir ja doch noch in das Hoggar!
Wir werden von einem Algerier angesprochen. Er arbeitet im Tourismus und schildert uns die aktuelle Situation in Algerien. Im Süden gebe es Probleme mit Mali. Das gesamte Gebiet sei seit etwa drei Wochen für Touristen gesperrt. Die Situation sei momentan ruhig, aber die Sperrung könne noch einige Monate anhalten. Für uns wohl das endgültig Aus für eine Tour dahin!
Zum Übernachten fahren wir wieder nach Norden. Wunderschöne Sicheldünen und dazwischen einige Dattelpalmen. Leo blökt mit seinem Didgeridoo. Es würde niemand wundern, wenn sich das Ding eines Nachts auf rätselhafte Weise verschwinden täte.

Morgen geht es weiter, und an den Badestrand

14. Dezember 2012

Algerien: die Speckmütze sagt nein!

aus meinem Tagebuch: Teil 5
Donnerstag 4. April 96. Mit der Sonne kommt auch wieder der Wind. Wir essen panierte Butterbrote.
Nach etwa sechzig Kilometer erreichen wir Djamaa. Da wir nun unabhängig sein wollen, tanken wir mal voll. Mehr als zweihundert Liter Benzin und etwas Wasser. Kurz vor der nächsten Strassensperre zweigen wir auf eine kleine Nebenstrasse ab. Noch einmal „davon gekommen“. Irgendwo überqueren wir eine Öl-Pipeline und machen Mittagsrast. Wir überlegen, ob wir der Pipeline nach Süden folgen sollten, und so Touggourt zu umfahren; oder gerade aus weiter? Wir beschliessen dann aber, geradeaus nach M’Rara und weiter zu fahren.
Mitten in M’Rara ist die Strasse zu Ende. Schäbige Häuser um einen staubiger Platz. Wir fragen nach dem Weg. Da kommt ein silbriger Peugeot angebraust und ein Mann mit ernster Mine und einer Pistole entsteigt der Karre. Und nimmt uns unsere Pässe ab. Bald darauf stehen wir vor der Polizeistation! Umringt von einem Dutzend Polizisten mit ebenso vielen Gewehren. Wie im Wildwest-Film. Die Obrigkeit berät nun, was mit uns geschehen soll? Möglichst ohne unnötige Umtriebe für sie. Sie beschliessen, uns in Djamma einer anderen Behörde weiterzureichen. Also rasen wir im Konvoi dahin.
Schon bald sitzen wir vor einem Kasernentor. Hinein dürfen wir nicht, was uns eigentlich ganz recht ist. Ich schaue durch eine Ritze in den Kasernehof. Da steht ein Häftling auf einem Bein und stemmt einen Stuhl in die Höhe, während ihn ein paar Beamte verhören.
Irgendwann kommt ein Uniformträger heraus zu uns und will die Namen unserer Eltern wissen. Dann verschwindet er wieder in der Kaserne. Der Häftling stemmt immer noch den Stuhl. Kurz vor 16 Uhr steht der Uniformierte plötzlich wieder da - und erklärt uns, dass wir nicht nach Ghardaia fahren dürften. Sonst aber überall hin; und dann wünscht er uns eine Gute Fahrt.
Ja - dann wollen wir mal los! Wir fahren nach Touggourt und wundern uns, dass jetzt plötzlich geht, was am Vormittag noch unmöglich schien. Wir wollen bei den Seen von Merjadja übernachten. Doch die Seen gibt es nicht mehr, hier sind jetzt Gemüsegärten. So fahren wir hinaus in die Wüste und übernachten etwa 20 Kilometer südlich von Touggourt.

Freitag 5. April 96. Gegen Mittag kommen wir nach Ouargla. Jetzt sind wir immerhin schon mehr als 300 Kilometer von der Grenze weg. Die Soldaten an der ortstypischen Strassensperre winken. Wir auch - und fahren durch. Im Stadtzentrum setzen wir setzen uns in ein Café. Herrlich. Wenige Kilometer hinter Ouargla beginnt nun eine schöne Piste, die uns weit nach Süden bringt. Mehr als 1'000 Kilometer, bis ins Hoggar. Nur Wüste, keine Siedlungen, keine Strassen, keine Strassenkontrollen.
Nach wenigen Minuten kommt ein Polizist mit strammem Schritt und einer speckigen Mütze – und nimmt uns unsere Pässe ab! Schon wieder. Uns so sitzen wir kurz darauf in einem armseligen Büro im Polizeipräsidium von Ouargla. Die übliche Fragerei nach dem wohin und woher? Man überlegt, telefoniert, klärt ab. Dann kommt man zum Schluss, dass wir nun nach Tunesien zurück reisen tuen. Man mache sich Sorgen um unsere Sicherheit - wobei! Algerien natüüürlich ein sehr sicheres Land sei, aber unsere Sicherheit sei ihnen doch das wichtigste. Und so weiter und so fort.
Als wir wieder draussen auf der Strasse sind, kommt uns ein Polizist nachgerannt. Er sagt uns mit klaren und einprägsamen Worten: «Wenn ihr auch nur einen Meter Richtung Ghardaia fährt, verstösst ihr gegen algerischer Recht. Au Revoir». Gleichzeitig fingert er an seiner Dienstpistole herum.
Na gut, fahren wir halt wieder nachhause. Einige Kilometer ausserhalb der Stadt fahren wir erst einmal in die Dünen und übernachten. Leo wickelt sein Didgeridoo aus ...

13. Dezember 2012

Algerien: Süsskram und ein schwarzer Mond

aus meinem Tagebuch: Teil 4
Mittwoch 3. April 96. Am Vormittag besuchen wir den Markt. Zahllose Händler bieten Unmengen von Waren an. Billigst Batterien aus China, emaillierte Blechtöpfe und in Einzelteile zerlegte Kamele. Schon alleine die verschiedenen Gerüche waren einen Besuch wert. Während wir in einem Strassencafe Cremeschnitten futtern, bemerken wir, dass uns die Polizei beobachtet. Nicht gut, ich glaube, es wird für uns Zeit, El Oued zu verlassen!

Wir wollen nach In Salah in Zentral-Algerien. Auf der direkten Hauptstrasse geht das nicht; da soll es überall Strassensperren geben. Direkt nach Süden geht’s auch nicht, da sind die schier endlos Sanddünen des Grand Erg Oriental. Wir könnten aber versuchen die Städte nördlich zu umfahren. Das wäre unüblich und eine von Touristen kaum heimgesuchte Region. Ich kenne da auch einige Schleichweg bis in die Gegend von Ghardaia. Und ab da gibt es dann genügend abgelegene Pisten in den Süden.
Am Mittag, als alle im Schatten dösen, fahren wir kurzerhand los. Nach Norden aus der Stadt hinaus. Vor einer grossen Kaserne am Stadtrand stehen lange Kolonnen Militärfahrzeuge und die Soldaten sind grad aum Aufsitzen. Kein gutes Zeichen.
Etwa 30 Kilometer nördlich von Guemar biegen wir nach Westen ab. Die Strasse ist sogar geteert und quert den Nordrand vom Souf. Wir übernachten in einem Dünenfeld, einen Kilometer weg von der Strasse. Der Wind bläst uns den Sand ins Gesicht, aber wir sind froh, draussen zu sein.
Kurz vor Mitternacht bekommt der Vollmond einen Schatten. Die versprochene Mondfinsternis beginnt. Wir haben uns liegestuhlförmige Gruben gegraben und liegen nun drinnen und schauen dem Mond zu. Um Mitternacht ist der Mond komplett dunkel. Leo „spielt“ mit seinem Didgeridoo. Hört sich irgendwie nach Hirsch und Brunft an.
Philippe meint, der Mond sei ein abgesprengtes Stück der Erde. Ich vermute, ein Stück Algerien; da die hier ja alle eine Ecke ab haben.
Ob wir morgen weiter in den Süden kommen? Hoffen wir mal, und machen wir das Beste aus der misslichen Situation. Aber erst einmal wollen wir die Wüste geniessen.

Morgen geht es hier weiter, und um nackte Kerle.

12. Dezember 2012

Algerien: wenn die Wüste grenzenlos wäre

aus meinem Tagebuch: Teil 3
Dienstag 2. April 96. Gegen halb neun fahren zur Grenze, ist ja nicht weit. Früher hinzufahren lohnt sich meist nicht, da die Grenzer dann noch schlafen. Ich habe gemischte Gefühle; so zwischen Erinnerungen an die "guten alten Zeiten" und Neugier auf das "neue Algerien". Hazoua, der tunesische Grenzort hier im Süden, ist in den letzten Jahren mächtig gewachsen. Hässliche Neubauten, wohin man blickt. Die Grenzabfertigung geht zügig und freundlich, sonst ist aber alles beim Alten geblieben. Die Grenzer interessieren sich sehr für Leos Didgeridoo im Bademantel; lassen ihn aber doch passieren.
Nach ein paar Kilometern Niemandsland kommen wir zum algerischen Grenzposten Taleb Larbi. Auch hier; ausser einem neuen Dach, sehe ich keine Veränderungen. Freundlich und hilfsbereit werden wir abgefertigt. Polizei – Zoll – Devisendeklaration - Pflichtumtausch – Versicherung, wie früher. Der Bankier kann nicht rechnen, der Versicherungsagent ist fast blind und wird von einem Schwarzhändler begleitet. Nach etwa drei Stunden sind wir abgefertigt und dürfen los. Grüezi Algerien!

Der Sandwind ist inzwischen noch etwas kräftiger geworden. Wir sind gespannt, was uns erwartet. Vorerst erwartet uns Wind, Sand und steinewerfende Kinder. Philippe muss alle paar Kilometer seinen Töff auf die Seite legen, damit etwas vom restlichen Benzin in den Vergaser läuft! Alle Tankstellen haben zwar Benzin; aber heute Stromausfall, und so laufen ihre Pumpen nicht. Benzinreserven haben wir natürlich keinen mit, denn Benzin kostet hier ja bloss halb soviel wie in Tunesien.
Kurz vor El Oued werden wir an einer Strassenkontrolle ein weiteres Mal angehalten. Ein netter Uniformierter nimmt uns gleich die Pässe ab, nuschelt etwas ins Funkgerät - und bittet uns, doch einen Moment zu warten. Tun wir doch gerne ...
Nach wenigen Minuten braust ein silbriger Peugeot daher. Ihm entsteigen einige grimmige Herren mit Maschinenpistolen und bitten uns freundlich, ihnen doch zu folgen. Wir besuchen gemeinsam das örtlichen Polizeipräsidium. In einem schäbigen Büro im zweiten Stock offenbart uns der Chef der „Strassenräuber“, dass die Weiterfahrt verboten sei. Wir jammern ein wenig. Er bietet uns drum ein Begleitfahrzeug nach Illizi (Südostalgerien) an. Wir wollen aber weder ein Begleitfahrzeug, noch nach Illizi. Also lehnen wir dankend das grosszügige Angebot ab. Daraufhin legt man uns nahe, nachhause zu fahren!
Doch dann bekommen wir überraschend unsere Pässe zurück. Und den dringenden Wunsch, uns vorläufig im „Hotel du Souf“ einzuquartieren. Ein schönes Hotel zum Entspannen - gewiss, aber wir wollen uns nicht entspannen. Wir wollen in die Wüste!
El Oued ist uns vertraut. Im Stadtzentrum essen wir erst einmal ein Grillhähnchen und trinken farbige Limonaden. Zurück im Hotel werden wir von einen bekannten Gesicht empfangen. Unser Polizist bringt drei weitere Schweizer vorbei. Auch sie sind in der Strassenkontrolle hängen blieben. Sie kamen bis nach Hassi Messoud hinunter, und wurden dann zurückgeschickt. Sie berichten von zahlreichen Strassensperren und Kontrollen unterwegs. Unser Plan einfach abzuschleichen, scheint zu platzen. Mal schauen ...
Bis Mitternacht sitzen wir zusammen im Hotelgarten. Über uns der Mond, in uns reichlich zuckersüsse Limo.

Morgen geht es weiter, und um gar keinen Mond.