8. September 2016

Alpenglühen: bunte Häuser und Berge

In Zernez beginnt die Strasse über den Ofenpass, die wir heute unter die Räder nehmen wollen. Die Strasse schlängelt sich talaufwärts, teilweise in engen Zickzack-Kurven, dann wieder in langen Schwüngen durch den Lärchenwald bis hinauf auf 2‘150 müM.

Ennet dem Ofenpass, im Val Müstair, liegt das kleine Dorf Tschierv. Das kenne ich von früher. Seither hat sich wenig verändert; einige neue Häuser wurden gebaut und einige neu gestrichen, ansonsten sieht alles aus wie damals.
Santa Maria ist der Hauptort des Val Müstair. Es ist ein hübsches Dorf mit reichgeschmückten Häusern. Manche sind bemalt, andere mit Schabputz verziert. Auf Romanisch, der hiesigen Sprache, heisst dieser Schabputz „Sgrafitti“. Da kommt auch das neuenglische Wort „Grafitti“ her.

Nun müssen wir uns entscheiden, weiter nach Osten oder über den Umbrail-Pass hinüber zum Stilfserjoch. Alles klar, auf zum Stilfserjoch. Die Umbrail-Strasse windet sich wieder in schier endlosen Hin-und-her-Kurven den Steilhang hinauf. Immer höher bis weit über die Waldgrenze.

Der Umbrail ist mit 2‘503 müM die höchste Passstrasse der Schweiz. Der Grenzposten ist längst zugenagelt und menschenleer. Gleich neben dem Grenzstein sehe ich die alten italienischen Schützengräben aus dem 1. Weltkrieg.

Nur ein paar Kilometer weiter und in Sichtweite ist das Stilfserjoch (2‘760 müM); heute heisst er Passo dello Stélvio und ist die höchste Passstrasse Italiens. Vor 100 Jahren war hier auch die italienisch-österreichische Grenze - und Weltkrieg.

Statt Stacheldraht und Schützengräben gibt es nun unzählige Souvenirläden und Caffè Latte. Und ganz viele Ausflügler; ledrige Töffahrer, verschwitzte Radler und beige, karierte Wanderer mit Spargelbeinen. Wir haben Hunger und besuchen einen Wurststand. Ich erwerbe eine „Rote“ im Vinschger-Brötchen, mit viel Senf und Sauerkraut. «Dann kannscht nachher schön furzen» preist der Wurscht-Richard sein Menü an.

Noch ist das Wetter schön, aber es zeigen sich bereits kräftige Quellwolken. Wir setzen uns in den Möbelwagen trinken einen Kaffee. Und schon bald prasselt der Regen aufs Dach und die Landschaft versschwindet im nassgrauen Nebel. Ich mag das.
Selten sind wir so hoch in den Bergen, das letzte Mal im Iran. Und wie damals ist es auch heute kalt und windig.

7. September 2016

Alpenglühen: das Tal der Schickeria

In Chiavenna entscheiden wir uns für die Route über den Maloja-Pass. Noch weit vor der Passhöhe überqueren wir schon die italienisch-schweizerische Grenze. Diesmal ist sie bemannt, doch wir werden mit einem müden Kopfnicker durchgewinkt.

Das letzte Teilstück bis zur Passhöhe ist wieder spektakulär. Die Strasse klettert in wilden Zickzackschwüngen die Bergflanke hinauf. Nicht ganz so eng wie am Splügen, aber dennoch recht beeindruckend.

Eigentlich wollten wir uns Maloja anschauen. Aber als wir da sind sehen wir, dass es da nur wenig zu sehen gibt. Und dass die Ausflügler bereits alle Parkplätze besetzt haben. Deshalb fahren wir weiter. An den verschiedenen Seen entlang nach St. Moritz. Viele noble Hotels und viele noble Schickeria. Grossartige Landschaften zwar, aber wenig einladend. So rollen wir einfach weiter.

Wir rollen gemütlich talauswärts bis nach Zernez. Das Dorf kenne ich von früher, ganz früher. Schöne Häuser mit tiefen Fensternischen und reich verzierten Fassaden. Aber in meiner Erinnerung war es schöner, jetzt wirkt vieles ganz gewöhnlich.
Wir schlendern zum Zentrum, das aus einer Strassenkurve besteht, und essen eine traditionelle Bündner Nusstorte. Süss und mastig, und gut.

Dann verdunkeln immer mehr Gewitterwolken den Himmel. Wir erreichen grad noch unser mobiles Ferienhaus, als es zu regnen beginnt. Ich bin froh darum, denn der Regen vertreibt die tüppige Sommerhitze. Und danach gibt es sogar noch extra für uns einen eindrücklichen und vielfarbigen Regenbogen - auf dem Foto ist der aber leider kaum zu sehen!

Wir übernachten mitten in Zernez. Der Gewitterregen trommelt aufs Dach und draussen hocken tropfnass Vögel im Gebüsch und schauen übellaunig.

6. September 2016

Alpenglühen: die fast spektakulärste Strasse der Welt

Schon in der Morgendämmerung kommen wieder die ersten Fischer und lassen ihre Ruten in den Lago di Sluga baumeln. Aber wie gestern schon, sehe ich nur Fischer, aber überhaupt keine Fische!

Schon kurz nach dem Splügensee windet sich die alte Splügenstrasse steil und enorm kurvenreich in die Tiefe. Die Fahrbahn ist schmal und die Kurven wirklich eng – fast wie auf einer Treppe zickzacken wir durch die Isola-Schlucht hinunter. Spitzkehren, Tunnel, Gallerien, und Kurven und Kurven. Diese Strasse ist sicher eine der schönsten im gesamten Alpenraum*. Und in der Nachmittagssonne könnte man bestimmt auch spektakuläre Fotos machen. Jetzt leider nicht.

Das Städtchen Chiavenna liegt nur noch auf 325 müM, also 1‘800 Meter tiefer als der Splügenpass. Chiavenna ist ein zauberhaftes italienisches Städtchen mit schmalen Gassen und steingedeckten Hausdächern. Wir flanieren durch die Altstadt und schauen den Leuten bei der Siesta zu. Die Italienerinnen sind wie immer schön zurechtgemacht, oder zumindest schönbunt angemalt. Kleine Kinder und Hunde rennen auf dem Hauptplatz umher und kläffen.
Es ist Nachmittag und die Augusthitze drückt durch alle Ritzen. Wir setzen uns an den Schatten und bestellen Kaltgetränke. Schön hier

Frau G. muss noch arbeiten, was ja heutzutage zum Glück auch von unterwegs aus problemlos geht. Und auch ich erledige noch einige Schreibarbeiten, denn ich habe nämlich so eine Sache im Internet laufen. Und auf dem Hauptplatz gibt es kostenloses WiFi für jedermann.

*Die alte Strasse durch Isola-Schlucht ist für Fahrzeuge über 5 Meter Länge und 2.3 Meter Höhe gesperrt. Mit unserem Möbelwagen konnten wir uns grad noch so durchmögeln.

5. September 2016

Alpenglühen: ungefähr eine Milliarde Haarnadelkurven

Was gestern Abend noch unser einsamer Übernachtungsplatz auf dem Gotthardpass war, ist heute Morgen mit Bergsteiger-Autos vollgestellt. Eigentlich wären wir noch gerne ein, zwei Tage hier geblieben. Doch die vielen Autos, Wohnmobile und bunt gekleideten Ausflügler schrecken uns ab. Wir ziehen weiter.

Ganz genüsslich brummen wir auf der Tremola, der alten kopfsteingepflasterten Passtrasse, hinunter nach Airolo. Unzählige Haarnadelkurven und Spitzkehren. Und Granitwehrsteine aus dem frühen 19. Jahrhundert. Vielleicht die schönste Strasse im ganzen Alpenraum.
Im Tessin brennt die Sonne vom Himmel. Wir beschliessen deshalb nach Bellinzona und von da durchs Misox zum Passo del San Bernardino zu fahren.

Das Misox, das Valle Mesolcina, ist tief in die schroffe Bergwelt geschnitten. Wir fahren natürlich auf der alten Kantonsstrasse und nicht auf der Autobahn. Die Strasse schlängelt sich in wilden Schwüngen durch Tal und hinauf bis zur Passhöhe San Bernardino (2‘065 müM). Hier sind viel weniger Leute als auf dem Gotthardpass. Es gibt hier aber auch viel weniger zu sehen. Wir lümmeln ein wenig am See herum bis uns der kalte Wind weiter treibt.

Wir kurven hinunter nach Hinterrhein und weiter auf der alten Strasse bis ins Dorf Splügen. Hier sind leider alle Parkplätze für Wohnmobile verboten, deshalb verzichten wir auf den Einkauf und fahren weiter.
Wieder schraubt sich die Strasse in unzähligen Kurven bergauf. Diesmal hinauf zum Splügenpass (2‘110 müM). Die Passhöhe ist zugleich auch die Grenze zu Italien. Doch der Zollposten ist unbemannt, die Fenster vernagelt und der Schlagbaum sperrangelweit offen.

Am Lago di Montespluga, nicht weit nach der Passhöhe, finden wir einen wunderbaren Übernachtungsplatz. Direkt hinter unserem Essküche-Wohn-Bad-Schlafzimmer liegen der türkisfarbene Bergsee und die grandiose Gebirgslandschaft.

Gegen Abend stossen mächtige Quellwolken auf, doch zu einem Gewitter reicht es dann doch nicht, so dass ich noch einen kleinen Rundgang über den alten Splügen-Saumweg und die vielen Ruinen aus allen möglichen Jahrhunderten wagen kann.

Zum z'Nacht essen wir die urner Geissenwurst aus dem Urserental.

2. September 2016

Alpenglühen: unterirdische Kleinstadt und Kriegsmaschine

Auf dem Passo San Gottardo, dem Gotthardpass (2‘100 müM), gibt es mehrere Festungen aus dem Kalten Krieg. Bis vor wenigen Jahren waren diese Bunkeranlagen streng geheim, doch mittlerweile nicht mehr und man kann einen davon besichtigen: Die Festung Sasso San Gottardo mit dem Artilleriewerk Sasso da Pigna.

Der Eingang ist bloss ein unscheinbares Loch im Fels. Dahinter geht ein schmaler Gang etwa 200 Meter in den Berg hinein. Da befinden sich links und rechts ein Teil der Unterkünfte, das Kraftwerk und die Werkstätten der Festung.

Der Gang führt weiter einen halben Kilometer durch den Felsen. Dann kommen wir zu einer Standseilbahn, die uns gut 100 Meter höher hinauf bringt; alles unterirdisch. Oben geht es noch einige Hundert Meter weiter bis zu den Kanonen.
Diese konnten bis nach Italien schiessen, das bloss 13 Kilometer von hier entfernt liegt. Dort baute das italienische Militär in den 1930-er Jahren eine „touristische Strasse“ bis zum Passo San Giacomo, der direkt an die Schweizergrenze liegt. Von da hätten die italienischen Kanonen das Südportal des Gotthard-Eisenbahntunnels beschiessen und die wichtige Eisenbahn lahmlegen können. Das erschreckte das schweizer Militär dermassen, dass man eilig den Befehl zum Bau der Gotthardfestungen gab.

Wir marschierten drei Stunden lang und mehrere Kilometer weit durch das Labyrinth aus die Kavernen und feuchtkalten Gängen. Schon eindrücklich, was damals hier alles gebaut wurde.
Als diese Festung 1945 dann fertig war, war auch der Krieg vorbei. Und sie ist nicht die einzige. Während des 2.Weltkriegs baute man schweizweit etwa siebzig solcher Anlagen, auch noch viel grössere.

Die Festung ist eine unterirdische Kleinstadt und Kriegsmaschine – faszinierend und verstörend zugleich.

Am Abend essen wir in der Gotthartpass-Gaststätte Risotto und Luganighetta; diese typische schneckenförmig gerollte Tessinerwurst. Die untergehende Sonne lässt die Berggipfel glühen und der Himmel verfärbt sich rosaviolettblau. Wir übernachten ganz malerisch auf einer Alpweide.